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ADHS bei Erwachsenen – Herausforderung und Chance

Interview mit Expertin Frau Prof. Krause

Artikel nach Kategorien filtern #Achtsamkeit #Erkrankungen #Psychologie #Medizin

Wichtige Team-Meetings vergessen, anderen ständig ins Wort fallen oder während einer Prüfung mit den Gedanken abschweifen – solche oder ähnliche Situationen erleben Erwachsene mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) häufig. Frau Prof. Krause, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, erzählt im Interview, wo es Hilfe gibt – und welche positiven Seiten ADHS haben kann.

REDAKTION Was sind Symptome oder Herausforderungen, die Erwachsene mit ADHS im Alltag haben können?

PROF. KRAUSE Sehr häufig haben Betroffene Schwierigkeiten mit der Konzentration und Aufmerksamkeit. Sie können impulsiv reagieren, sehr unruhig oder vergesslich und auch emotional instabil sein. Speziell bei jungen Erwachsenen kann das besonders deutlich werden, wenn sie ausziehen und die Struktur des Elternhauses plötzlich wegfällt. Wichtig für eine Diagnose ist, dass sich die Symptome regelmäßig und in verschiedenen Lebensbereichen zeigen – etwa bei der Arbeit, in Beziehungen und bei Alltagsaufgaben.

R Warum dauert es so lange, ehe erwachsene Betroffene diagnostiziert werden?

PROF. K Bei Erwachsenen ohne Diagnose werden die Symptome häufig übersehen – auch, weil sie manchmal subtiler sind oder sich anders äußern als bei Kindern. Beispiel Hyperaktivität: Anstelle einer leicht erkennbaren körperlichen Hyperaktivität, wie beispielsweise ständiges Aufstehen oder Zappeln, erleben Erwachsene eher eine innere Unruhe. Oft ist es den betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch gelungen, Strategien zu entwickeln, um weniger aufzufallen. Sie zeigen dann ein Verhalten, das sozial akzeptierter ist. Statt einfach aufzuspringen und herumzulaufen, wippen sie zum Beispiel unterbewusst mit den Füßen.

Dazu kommt, dass das gesellschaftliche Bewusstsein für ADHS in den letzten 20 Jahren deutlich gestiegen ist. Lehrerinnen und Lehrer oder Erzieherinnen und Erzieher sind heute viel sensibler für die unterschiedlichen Anzeichen. Das heißt aber auch, dass die Symptome einer ADHS – insbesondere bei Betroffenen mit gering ausgeprägter Hyperaktivität – im Kindesalter wahrscheinlich übersehen wurden. Auch wenn andere ADHS-Symptome deutlich vorhanden waren und immer noch sind. Diese Menschen kommen dann erst als Erwachsene zu einem Diagnostikgespräch.

Eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zeigt sich in drei Kernsymptomen:

  • Störungen der Aufmerksamkeit und Konzentration
  • Impulsivität
  • Extreme Unruhe (Hyperaktivität)
  • Neben den Kernsymptomen gibt es noch weitere Auffälligkeiten, die für die Diagnostik wichtig sind. Dazu gehören: Desorganisation, emotionale Instabilität, Schwierigkeiten im Umgang mit Stress, gestörtes Sozialverhalten und Selbstwertprobleme.

    Die Schwierigkeiten in den einzelnen Bereichen können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und treten bereits in der Kindheit auf. Sie zeigen sich in verschiedenen Lebensbereichen und führen bei den Betroffenen zu großen Belastungen.

    Viele Menschen mit ADHS besitzen ein sehr großes Potenzial – sie sind kreativ, hilfsbereit und haben eine lebhafte Energie.

    R Wohin können sich Erwachsene mit Verdacht auf ADHS wenden?

    PROF. K Ich empfehle, am besten eine Facharztpraxis für Psychiatrie und Psychotherapie mit Erfahrung im Bereich ADHS bei Erwachsenen aufzusuchen. Dort kann dann eine professionelle Diagnostik erfolgen. Und wenn sie das möchten, erhalten Betroffene anschließend eine passende Behandlung. Denn die gute Nachricht ist, dass sich ADHS sehr erfolgreich behandeln lässt.

    R Wie kann ADHS bei Erwachsenen behandelt werden?

    PROF. K Die Behandlung umfasst oft ein Gesamtkonzept. Dazu gehört erst einmal, dass die Betroffenen verstehen, was ADHS ist und wie sie damit am besten umgehen können – die sogenannte Psychoedukation. Außerdem haben sich medikamentöse Therapien sehr bewährt. Ich empfehle zur Behandlung von ADHS Medikamente wie Stimulanzien. Das entspricht auch den aktuellen Leitlinien, also den Behandlungsempfehlungen für Ärztinnen und Ärzte. Beispiele für solche Medikamente sind Methylphenidat oder Amphetamine. Bei einer großen Mehrheit der Menschen mit ADHS führen sie zu einer deutlichen Verbesserung der Aufmerksamkeit, Konzentration und Impulskontrolle. Als dritter Baustein schließlich kann eine Verhaltenstherapie Betroffene im Alltag besser unterstützen.

    R Gibt es auch positive Aspekte bei ADHS?

    PROF. K Viele Menschen mit ADHS besitzen ein sehr großes Potenzial. Sie können besonders kreativ, hilfsbereit, spontan und begeisterungsfähig sein und eine lebhafte Energie haben. Für manche Berufe kann ADHS dann eine Art Erfolgsfaktor sein – zum Beispiel im handwerklichen, sozialen oder kreativen Bereich. Wer lernt, die Stärken von ADHS gezielt einzusetzen, kann dadurch das eigene Selbstwertgefühl stärken. Und das wirkt sich positiv auf die mentale Gesundheit aus.

    R ADHS ist in den sozialen Medien ein sehr aktuelles Thema. Was sagen Sie dazu?

    PROF. K Wenn Influencerinnen und Influencer offen über ihre persönlichen Erfahrungen mit ADHS sprechen, sehe ich das als sehr hilfreich und positiv an. Sie erreichen viele Menschen und tragen so zu mehr Aufklärung bei. Vor allem: Sie helfen, Vorurteile zu reduzieren. Manche Betroffene werden dadurch erst motiviert, sich professionelle Unterstützung zu suchen und zur Diagnostik zu gehen. Allerdings sehe ich Selbstdiagnosen und Symptomvergleiche in sozialen Medien sehr kritisch. Viele Symptome sind erst einmal allgemein. Einzelne davon treffen auf viele Menschen zu. Wir alle vergessen mal etwas oder lassen uns ablenken – auch ohne ADHS. Eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ist dagegen etwas Überdauerndes. Dafür gibt es exakte Kriterien, die Expertinnen und Experten kennen. Eine genaue Diagnostik und Behandlung sollten also unbedingt durch Fachleute erfolgen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Menschen mit ADHS eine angemessene Unterstützung und Therapie erhalten.

    Wenn Influencerinnen und Influencer offen über ihre persönlichen Erfahrungen mit ADHS sprechen, sehe ich das als sehr hilfreich und positiv an. Sie erreichen viele Menschen und tragen so zu mehr Aufklärung bei.

    Unser Experte

    Prof. Krause

    Frau Prof. Krause ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit eigener Praxis. Seit vielen Jahren liegt ihr Schwerpunkt in der Diagnostik und Behandlung von Erwachsenen mit ADHS. Zusätzlich lehrt Frau Prof. Krause als Dozentin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU).

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