ME/CFS – das chronische Erschöpfungssyndrom

ME/CFS – die noch wenig erforschte Krankheit: Wie ein Spezialistenteam das ändern möchte.

Rund 300.000 Menschen in Deutschland leiden am chronischen Erschöpfungssyndrom, auch chronisches Fatigue-Syndrom (CFS) oder Myalgische Enzephalomyelitis (ME) genannt. Diese komplexe neurologische Erkrankung verläuft häufig chronisch, die Symptome sind diffus – starke Erschöpfung gehört jedoch immer dazu. In Deutschland gibt es noch keine anerkannten Therapien für ME/CFS. Dies möchte Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen von der Charité Berlin ändern. Gemeinsam mit ihrem Team arbeitet sie an einem interdisziplinären Versorgungskonzept für Betroffene. Wichtigstes Ziel: eine Verbesserung der Symptome und der körperlichen Leistungsfähigkeit. Unterstützt wird das Forschungsprojekt auch von uns, der SBK. Wir haben Prof. Scheibenbogen nach den Symptomen sowie Ursachen gefragt. Sie gibt außerdem Empfehlungen, die Betroffene im Alltag umsetzen können.

Welche Symptome haben Betroffene?

Die Symptome eines chronischen Erschöpfungssyndroms können bei jedem Patienten unterschiedlich ausgeprägt sein. Erschöpfung tritt auch bei vielen anderen Erkrankungen auf. Das macht es für Betroffene und Ärzte schwer, die Krankheit überhaupt zu erkennen. „Meist kommt es bei ME/CFS nach einer Infektion zu einer schweren krankhaften Erschöpfung, die Fatigue genannt wird“, erklärt Scheibenbogen. ME/CFS geht zudem mit Schmerzen, schweren Konzentrationsstörungen und weiteren Beschwerden wie Kopf- und Gliederschmerzen einher. „Hinzu kommen Kreislaufstörungen, Reizdarm, Atembeschwerden sowie Reiz- und Temperaturempfindlichkeit. Viele Patienten leiden auch an häufigen Infektionen oder neu aufgetretenen Allergien“, sagt die Expertin. Betroffene der Krankheit ME/CFS sind nur in sehr geringem Maße belastbar. Schon kleine körperliche oder mentale Anstrengungen können eine tage- bzw. wochenlange Verschlechterung der Beschwerden auslösen. Dies führt zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität, in schweren Fällen oft auch zu einer Behinderung und Pflegebedürftigkeit: Die Patienten können ihren Alltag nicht mehr bewältigen und werden berufsunfähig.

Was sind die Ursachen von ME/CFS?

ME/CFS wird in zwei Drittel der Fälle durch Infektionserkrankungen ausgelöst, häufig durch eine Erstinfektion mit dem Epstein-Barr-Virus (Pfeiffersches Drüsenfieber). Darüber hinaus kann ME/CFS in seltenen Fällen durch Unfälle mit Halswirbelsäulen-Verletzung, ein psychisches Trauma oder ohne ersichtlichen Auslöser entstehen.

ME/CFS als häufige Symptome des Long-Covid-Syndroms

Auch nach überstandener Covid-19 Erkrankung haben manche Patienten - selbst solche mit einem milden Verlauf - unter verschiedenen Spätfolgen zu leiden. Laut einer aktuellen Studie beschreiben 73,3% der Befragten mehrere Monate nach der Genesung Symptome des chronischen Erschöpfungssyndroms. Die Ursache ist noch nicht geklärt, Studien weißen aber darauf hin, dass wahrscheinlich das Immunsystem nach der Infektion noch nicht wieder zur Ruhe gekommen ist und Entzündungen an kleinen Hirngefäßen verantwortlich für das häufig beschriebene Symptom „Nebel im Hirn“ sein könnten.

Bei den Meisten lindern sich die Symptome innerhalb von drei Monaten. Betroffene, die nach sechs Monaten keine Verbesserung spüren, sollten sich in einer Post-Covid Sprechstunde vorstellen. Hier finden Sie Anlaufstellen in Ihrer Nähe und Kontakte zu Selbsthilfegruppen.

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Das Innovationsfonds-Projekt CFS_CARE

Das Innovationsfonds-Projekt steht unter der Leitung von Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen und Dr. Claudia Kedor vom Institut für Medizinische Immunologie der Charité Berlin. Ziel des Projekts: Es sollen umfangreiche Therapiekonzepte entwickelt werden, die die Versorgung und den Gesundheitszustand von ME/CFS-Erkrankten verbessern sollen. Scheibenbogen und Kedor arbeiten mit einem interdisziplinären Team zusammen: unter anderem Experten aus den Fachbereichen Neurologie, Kardiologie, Schlafmedizin, Sportmedizin, Regenerative Therapie, Physikalische Therapie, Psychosomatik und Sozialmedizin. Gemeinsam erstellen sie ein interdisziplinäres Versorgungskonzept. Das Projekt ist zunächst auf drei Jahre befristet, im Anschluss wird dann bewertet, ob es in die Regelversorgung aufgenommen wird.

„Die SBK beteiligt sich an dem Projekt als sogenannter Konsortialpartner – damit sind wir maßgeblich an der Ausgestaltung von Prozessen rund um das Versorgungsgeschehen beteiligt. Ferner möchten wir begleitend zum Projekt auf das Thema ME/CFS aufmerksam machen, Betroffene bestmöglich informieren und Ärzte sensibilisieren“, erklärt Christina Bernards, Fachexpertin für integrierte Präventions- und Versorgungsangebote bei der SBK.

Was ist der Innovationsfonds?

Der Innovationsfonds fördert seit 2016 innovative Versorgungsformen und Forschungsprojekte, die über die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen. Grundlage ist das Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) aus dem Jahr 2015. Von 2020 bis 2024 stehen jährlich 200 Millionen Euro Fördersumme zur Verfügung. „Wir sind überzeugt, dass es viele gute Ideen gibt, die Versorgungssituation unserer Versicherten zu verbessern, und die es wert sind, weiter verfolgt zu werden. Deshalb engagieren wir uns beim Innovationsfonds“, sagt Bernards. Mehr Infos zum Thema Innovationsfonds finden Sie hier.

Wer ist am häufigsten von ME/CFS betroffen?

Von den geschätzt 300.000 ME/CFS-Patienten in Deutschland sind etwa zwei Drittel Frauen und 40.000 Kinder und Jugendliche. Das Haupterkrankungsalter liegt zwischen 15 und 40 Jahren.

Wie kann man ME/CFS im Moment behandeln?

Zurzeit gibt es keine ursächliche Behandlung von ME/CFS. Daher werden bislang lediglich die Symptome behandelt – wie Schlafstörungen und Schmerzen. Besteht der Verdacht auf die Krankheit ME/CFS, sollte zunächst der Hausarzt zu Rate gezogen und direkt auf die Krankheit angesprochen werden. Im Moment werden Fälle von ME/CFS teilweise noch nicht von allen Ärzten erkannt und wenn doch, dann werden sie oftmals nicht adäquat versorgt. Genau hier setzt das Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen an. Auch an einigen Universitätskliniken beschäftigen sich bereits Ärzte mit ME/CFS. Informationen finden Mediziner und Betroffene auch im Chronic Fatigue Centrum der Charité Berlin, cfc.charite.de. Patienten aus Berlin und Brandenburg können sich vom Hausarzt an die CFS-Sprechstunde der Charité Berlin überweisen lassen. Für Kinder und Jugendliche aus Bayern gibt es eine spezialärztliche Ambulanz an der Technischen Universität München.

Welche Tipps gibt es im Alltag?

ME/CFS kann momentan noch nicht gezielt therapiert werden. Es gibt verschiedene Ansätze, die Beschwerden zu lindern. „Besonders wichtig für die Betroffenen: Sie sollten Anstrengung vermeiden. Das betrifft sowohl körperliche Aktivität als auch Stress, emotionale Belastung und mediale Reizüberflutung. Auch Techniken, die der Entspannung dienen, sind bei ME/CFS hilfreich. Hierzu zählen autogenes Training und Atemübungen“, erklärt Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen. Sport ist nicht zu empfehlen, da er zu einer Zunahme der Beschwerden führt. Bewegung ist wichtig, jedoch ohne dass es zu einer Überlastung kommt. Ebenso können eine Verbesserung des Schlafs und eine angepasste, eiweißreiche Ernährung sowie ein Ausgleich von Mangelzuständen (häufig Vitamin D und Eisenmangel) zu einer positiven Entwicklung beitragen. Bei schweren Schlafstörungen sollte – in Absprache mit dem Hausarzt – eine ergänzende medikamentöse Behandlung erfolgen.

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