Darm an Hirn
Warum der Bauch uns einiges zu sagen hat

Ganz spontan: Würden Sie sich eher als Bauch- oder als Kopfmenschen bezeichnen? Wahrscheinlich beides. Denn unser Gehirn und unser Darm kommunizieren ständig miteinander. Besonders spannend: Neun von zehn Informationen gehen dabei vom Darm aus. Für unsere Gesundheit scheint diese Verbindung enorm wichtig zu sein.
Jeden Tag sind unsere Verdauungsorgane damit beschäftigt, das Beste für uns herauszuholen. Und zwar buchstäblich. Rund dreißig Tonnen Nahrung und 50.000 Liter Flüssigkeit nehmen wir im Laufe unseres Lebens zu uns. Im Magen-Darm-Trakt entscheidet sich, was davon weiterverarbeitet und was wieder ausgeschieden wird. Und in unserer Körpermitte passiert noch viel, viel mehr. Ungefähr 70 Prozent der Immunzellen und damit unserer Abwehrkräfte sitzen im Darm. Das macht ihn zum größten Immunorgan in unserem Körper. Dazu kommen etwa zwei Kilogramm Darmbakterien. Diese unterstützen unsere Gesundheit auf verschiedene Weise. Sie können Nahrung aufspalten, Vitamine produzieren und Giftstoffe neutralisieren. Selbst auf unsere Stimmung scheint der Darm Einfluss zu nehmen. Wie gesund wir sind, hängt also auch damit zusammen, wie gut es unserem Bauch geht. Aus diesem Grund ist auch eine regelmäßige Darmkrebsvorsorge so wichtig.
Wie ein zweites Gehirn in der Körpermitte
Wenn man vom „Bauchgehirn“ spricht, ist damit das enterische Nervensystem (ENS) gemeint. Von der Speiseröhre bis zum Darmausgang zieht es sich als dünnes Nervengeflecht durch den gesamten Magen-Darm-Trakt. Während es in unserem Gehirn etwa 86 Milliarden Nervenzellen gibt, sind es im ENS bis zu 500 Millionen. Diese Nervenzellen benötigt unser Bauchgehirn, um wichtige Verdauungsvorgänge selbstständig steuern zu können. Das Bauchgehirn kann dadurch autonom arbeiten, ohne jedes Mal „oben“ um Erlaubnis fragen zu müssen. So laufen beispielsweise unsere Darmbewegungen und die Analyse von Nahrung selbstständig ab – ohne dass wir Einfluss nehmen. Dennoch hält das ENS das Gehirn ständig auf dem Laufenden. Denn für das Gehirn ist der Darm ein wichtiger Informant. Er bekommt mit, was wir essen, ob wir Stress haben oder ob Entzündungen drohen. Die meisten Signale nehmen wir allerdings nicht bewusst wahr – was ein gutes Zeichen ist. Denn das bedeutet: Es ist alles im grünen Bereich.
Standleitung zwischen Darm und Gehirn
Die direkteste Verbindung zwischen Gehirn und Darm ist der Vagusnerv. Er ist der längste unserer insgesamt zwölf Hirnnerven. Der Vagusnerv verläuft vom Hirnstamm bis hinunter zum Bauchraum. Er beeinflusst sämtliche wichtigen inneren Organe, also auch unseren Verdauungsapparat. Man kann ihn sich wie eine Art Standleitung vorstellen. Oft funkt der Darm über den Vagusnerv Informationen nach oben, die meist nicht in unser Bewusstsein gelangen. Sie lösen vielmehr gleich einen Reflex aus. Ein Beispiel hierfür sind Vergiftungen. Wenn wir etwas Unverträgliches gegessen haben, informiert der Vagusnerv das Gehirn - und dieses antwortet umgehend mit einem Signal für Erbrechen oder Durchfall.
Der Vagusnerv hat außerdem Verbindungen zum limbischen System im Gehirn, unserem Gefühlszentrum. Auch wenn die Details seiner Zwiesprache mit diesem Zentrum noch nicht vollständig bekannt sind, weiß man, dass der Vagus Entspannung auslösen kann. Bei übermäßig starker Aktivität kann er jedoch auch Angstgefühle oder depressive Zustände erzeugen.
Unsere vielfältigen Mitbewohner
Dass Nervensignale unsere Gemütslage beeinflussen, ist nicht so erstaunlich. Dass unsere Darmflora ebenfalls dazu in der Lage ist, verblüfft durchaus. Viele kleine Organismen tummeln sich in unserem Darminneren und bilden so unser Mikrobiom. Bakterien machen den Großteil davon aus. Es gibt aber auch viele Arten von Viren, Hefen und Pilzen, die in geringeren Mengen vorkommen. Die meisten davon sind für unsere Gesundheit ausgesprochen nützlich.
Dieses komplexe innere Ökosystem unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Jeder von uns hat in seinem Darm eine einzigartige Zusammensetzung von Mikroorganismen. Diese wird durch unsere Gene, unsere Ernährung, Umgebung und unseren Lebensstil beeinflusst. Auch Krankheiten oder die Einnahme von Medikamenten spielen eine Rolle. Das bedeutet: Die Zusammensetzung unseres Mikrobioms verändert sich kontinuierlich. Je nachdem, was wir essen, ob wir rauchen, Softdrinks, Diätlimos oder Alkohol zu uns nehmen, sieht sie immer anders aus.
Kleinstlebewesen mit großer Wirkung
Lange Zeit glaubte die Forschung, dass Darmbakterien vor allem bei der Verdauung helfen. Dass etliche dieser Kleinstlebewesen wesentlich mehr für uns tun, zeigen Studien aus den letzten Jahren. Ihre Stoffwechselprodukte können uns vor Krankheitserregern schützen und Entzündungen hemmen. Außerdem sind sie imstande, bestimmte Botenstoffe zu bilden. Diese Botenstoffe wirken entspannend oder aktivierend. Sie können auch unsere Schmerzwahrnehmung oder Gefühle beeinflussen. Ein Beispiel hierfür ist das sogenannte Glückshormon Serotonin. Es wird im Gehirn von Nervenzellen produziert und sorgt dort - vereinfacht gesagt - für gute Stimmung.
Wie und wo wirken Darmbakterien darüber hinaus auf unsere Gesundheit? Diese Frage beschäftigt aktuell die Wissenschaft weltweit. Studien zeigen, dass bei verschiedenen Krankheiten auch das Mikrobiom der Betroffenen auffällig ist. Es ist zum Beispiel naheliegend, dass entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa eng mit der Darmbesiedelung zusammenhängen. Doch auch neurologische Erkrankungen wie Epilepsie, Parkinson oder Multiple Sklerose scheinen mit einem veränderten Darmmikrobiom verknüpft zu sein. Selbst bei psychischen Erkrankungen wie Depression und Magersucht wird eine Beteiligung des Mikrobioms diskutiert. Die Herausforderung für die Wissenschaft besteht nun darin, zu beweisen, ob Änderungen im Mikrobiom Ursache oder Folge der Erkrankungen sind.
Noch sind viele Fragen offen
Die Forschung zur Darm-Hirn-Achse und insbesondere zum Mikrobiom hat gerade erst Fahrt aufgenommen. Weltweit wird daran geforscht, wie genau Darm und Gehirn einander beeinflussen. Nähere Kenntnisse über diese Zusammenhänge könnten uns helfen, Erkrankungen vorzubeugen oder völlig neue Therapieansätze zu entwickeln. Eines ist jedoch bereits jetzt klar: Bauch und Kopf funktionieren besonders gut im Team!
Für ein gutes Bauchgefühl:
Je mehr nützliche Bakterienarten in unserem Darm leben, desto besser für unsere Gesundheit – so der pragmatische Expertenrat. Hier ein paar Tipps für gesunde Vielfalt:
Vorsorge – gut für das Bauchgefühl
Je früher Veränderungen erkannt werden, desto besser. Deshalb ist es besonders wichtig, ab 50 Jahren an der Darmkrebsfrüherkennung teilzunehmen. Die erfolgreichste Maßnahme hierfür ist eine Darmspiegelung.
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