Kita geschlossen. Was bedeutet das für die Kleinen?

Psychologin Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll spricht über Sorgen vieler Eltern und was Kinder jetzt brauchen.

Der Lockdown ist für Familien in vielerlei Hinsicht eine große Herausforderung: Ohne Krippe oder Kindergarten müssen die Kleinen zu Hause betreut werden. Kommt dann noch das Homeschooling für ältere Geschwister und die Arbeit im Homeoffice hinzu, wird der gemeinsame Alltag zum Drahtseilakt.
Viele Eltern machen sich Sorgen um die Entwicklung der Kleinsten. Welche Auswirkungen hat es, wenn Kinder keinen Kontakt mehr zu Gleichaltrigen und wichtigen Bezugspersonen in Krippe oder Kindergarten haben? Wie können Eltern den Bedürfnissen der Kleinen auch zu Hause gerecht werden?
Psychologin Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll hat Antworten auf diese Fragen, gibt hilfreiche Tipps, versucht, Eltern Sorgen zu nehmen, und erklärt, warum es als Elternteil besonders wichtig ist, auch die eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren.

1. Welches sind derzeit die größten Herausforderungen für Eltern mit Kleinkindern?

FABIENNE BECKER-STOLL Anders als Schulkinder können kleine Kinder gar nicht alleine gelassen werden. Einem 6-Jährigen kann man schon mal erklären: „Ich gehe kurz einkaufen und bin gleich zurück“ – bei einem Kleinkind ist das nicht möglich. Eltern stehen also vor der Herausforderung, ihren gesamten Alltag mit der Kleinkinderbetreuung zu vereinen. Das bedeutet ja nicht nur, den Haushalt zu regeln, sondern in den meisten Fällen auch, einen Beruf auszuüben. Aus meiner Sicht ist es nicht möglich, im Homeoffice zu arbeiten, während man ein oder zwei Kleinkinder betreut und womöglich noch mit einem Schulkind an Schulaufgaben sitzt. Dies wird aber vielen Familien gerade abverlangt.

Ich halte es für illusorisch, dass eine Familie, in der beide Eltern berufstätig sind, gleichzeitig Kleinkinder ganztägig zu Hause betreut. Dabei gehe ich von einer Familie aus, die keine finanziellen Sorgen hat, kein Kind mit besonderem Betreuungsbedarf und auch nicht mit beengten Wohnverhältnissen klarkommen muss.

Psychisch belastend für alle Eltern ist derzeit außerdem das Gefühl, dass es keine richtige Perspektive zu geben scheint, weil der Lockdown immer wieder verlängert wird und kein Ende in Sicht ist.

Zum Glück gibt es die Möglichkeit der sogenannten Notbetreuung in Kitas und Krippen.

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Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll

Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll ist Entwicklungspsychologin und Leiterin des Staatsinstituts für Frühpädagogik (IFP) in München.

Sie ist außerdem Professorin im Fachbereich Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Becker-Stoll beschäftigt sich schon lange mit der Frage, was Kinder brauchen, damit sie sich gut entwickeln können – und was das für die Familie, die Krippe, die Kita, den Hort und die Schule bedeutet.

Das IFP arbeitet eng mit der Praxis zusammen und forscht auch ganz aktuell zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kinder.

2. Wie ist die aktuelle Betreuungssituation in den Einrichtungen?

B.-S. Das variiert sehr stark zwischen den Bundesländern und ob es sich um Städte oder ländliche Regionen handelt. Aus Befragungen wissen wir jedoch, dass der Bedarf, die Kinder tageweise in die Notbetreuung zu geben, mit der Dauer des Lockdowns steigt. Die Eltern versuchen durchaus, verantwortungsvoll mit dem Angebot umzugehen, aber was im Januar vielleicht noch auszuhalten war, ist für manche dann im Februar und darüber hinaus nicht mehr tragbar. Die Kinder auch nur zwei Tage in die Betreuung zu geben, ist für viele schon eine Erleichterung.

3. Wie wirken sich die veränderten Betreuungsbedingungen auf Kinder aus?

B.-S. Veränderung gehört zum Kita-Alltag dazu. Wenn Krippen- oder Kindergartenkinder feste Bezugspersonen haben, macht ihnen ein Szenenwechsel im Wochenverlauf nichts aus. Auch kleinere Gruppen in der Einrichtung sind kein Problem, solange die Menschen dort vertraut sind. Im Gegenteil, mal nur zu dritt zu spielen, kann auch Ruhe in den Tag bringen.

Natürlich gibt es in manchen Einrichtungen starke Fluktuationen beim Personal, aber das war auch schon vor Corona so.

Entscheidend für kleine Kinder ist vor allem eine vertraute, liebevolle und zugewandte Person. Ist das Gegenüber angespannt, ungeduldig und gestresst, überträgt sich diese Stimmung auch auf die Kleinen – das ist ganz unabhängig von Corona so. Deswegen ist eine geduldige und einfühlsame Betreuung wichtig. Werden den Kleinen im jetzigen Rahmen Sicherheit und positive Gefühle vermittelt, ist alles gut.

4. Können Kleinkinder durch die Pandemiezeit in ihrer Entwicklung Schaden nehmen?

B.-S. Nein, da kann ich Eltern beruhigen – den Kleinsten macht diese Zeit wirklich am allerwenigsten aus. Wir wissen aus der Forschung, dass Kleinkinder nichts verpassen, wenn sie einige Monate zu Hause betreut werden. Im Kleinkindalter ist die Mama in der Regel ohnehin die wichtigste Bezugsperson. In der Regel profitiert ein gesundes Kleinkind ebenso von der Betreuung zu Hause, wie es auch in der Kita oder Krippe profitieren würde.

5. Was können Eltern konkret tun, um gut durch den Alltag zu kommen und sich vor Überlastung zu schützen?

B.-S. Gemeinsame Rituale und eine feste Tagesstruktur erleichtern das Zusammenleben für alle. Zum Beispiel können das feste Bildschirmzeiten für Kinder und Eltern sein: Die Kinder dürfen einen Film anschauen, während die Mama ihre E-Mails liest. Auch gemeinsame Mahlzeiten strukturieren den Tag. Dabei kann es helfen, den Speiseplan im Voraus festzulegen und sich damit tägliche Überlegungen und Einkäufe zu ersparen.
Perfektionismus und der eigene Anspruch sorgen häufig für zusätzlichen Stress. Dabei hilft es, den „Mental Load“ zu teilen und sich gemeinsam zu überlegen: Was ist heute wirklich wichtig? Was kann jeder von uns realistisch schaffen und was können wir auch später machen oder streichen?

Zum Beispiel kann ja auch mal Pizza bestellt und damit Küchenzeit gespart werden. Und vor allem: Jeder darf erschöpft sein und darf das auch äußern. Den Kindern hilft es jedoch, dies zuversichtlich zu formulieren, Positives herauszustellen: „Mama ist gerade ganz müde, aber heute war ein schöner Tag, uns geht’s gut.“

6. Was können Sie Eltern mit auf den Weg geben?

B.-S. Legen Sie den Fokus auf die wichtigen Dinge: gemeinsam essen, gut schlafen und ein friedliches Miteinander. Planen Sie Ihre Woche, so gut Sie können – Abweichungen sind natürlich immer erlaubt. Vergessen Sie dabei nicht, auch Zeit für sich selbst einzuplanen. Idealerweise hat jeder Erwachsene am Tag mindestens eine halbe Stunde für sich allein, ohne gestört zu werden. Nur mit guter Selbstfürsorge können Sie Ihren Kindern die nötige Sicherheit und Stabilität bieten.

Außerdem gehört auf den Wochenplan mindestens ein Tag, an dem niemand irgendetwas muss. Ich nenne das gern „Pyjamaparty“. Keine Pflichten, Termine oder Regeln – das tut allen gut. Und ich empfehle allen Eltern, sich an eine Familienberatungsstelle zu wenden, bevor ihnen alles über den Kopf wächst. Es ist völlig normal und in Ordnung, sich in besonderen Zeiten Rat und Unterstützung zu holen. Dieses Bedürfnis sollte man nicht aufschieben oder verdrängen. Es gibt viele kostenlose Beratungsangebote – auch online und in verschiedenen Sprachen –, und die sind alle auf diese Situation spezialisiert.

Diese Tipps gibt Frau Prof. Dr. Becker-Stoll Kleinkind-Eltern:

  • Schrauben Sie Ihre Ansprüche herunter, setzen Sie Prioritäten.
  • Strukturieren Sie Ihren Familienalltag, pflegen Sie kleine Rituale und Routine.
  • Achten Sie auf sich und Ihre Bedürfnisse, nehmen Sie sich täglich auch Zeit nur für sich.
  • Nehmen Sie bei Bedarf rechtzeitig Hilfsangebote an.
  • Nutzen Sie Angebote der Kita oder Krippe, digital Kontakt zu halten.

Weitere Tipps und spannende Hintergrundinformationen:

  • Das Staatsinstitut für Frühpädagogik unterstützt Eltern mit fundierten, aktuellen Tipps und Hintergrundinformationen zur aktuellen Situation im Online-Familienhandbuch.
  • Beratung in Coronazeiten für Eltern bietet das Nationale Zentrum Frühe Hilfen.
  • Die Telefonnummern hilfreicher Anlaufstellen sind auf der Seite des BMFSFJ übersichtlich aufgelistet.
  • Bastelideen lassen Sie und die Kleinen gemeinsam kreativ werden.

Psychische Gesundheit

Innere Leere, Antriebslosigkeit und Ängste – die Auslöser dafür können sehr vielfältig sein. Eines haben alle genannten Ursachen gemeinsam: Die Teilnahme am beruflichen und gesellschaftlichen Leben wird erheblich beeinträchtigt. Für viele Betroffene ist die Hausärztin oder der Hausarzt eine gute erste Anlaufstelle, um professionelle Hilfe zu erhalten. Wie die SBK Sie und Ihre Familie dabei unterstützt, psychische Herausforderungen zu meistern, erfahren Sie hier.

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