Medfluencer*innen im Netz
Hilfreiche Gesundheitstipps oder gefährliche Fehlinformationen?

Ob Fitness-Hacks, Ernährungsratschläge oder Wundermittel gegen Krankheiten – in den sozialen Netzwerken gibt es unzählige selbst ernannte Gesundheitsexpertinnen und -experten. Sie versprechen schnelle Lösungen, teilen scheinbar revolutionäre Erkenntnisse und erreichen damit Millionen von Menschen. Doch nicht alle Informationen sind fundiert oder korrekt.
Woran erkennt man also, ob eine Medizin-Influencerin oder ein Medizin-Influencer – kurz Medfluencer*in – vertrauenswürdig ist? Welche Signale deuten auf Fehlinformationen hin? Und wie bekommen Sie ein Gespür dafür, seriöse Inhalte zu erkennen? Dieser Artikel gibt Ihnen einen Leitfaden an die Hand, um in der Flut von Gesundheitsinformationen den Überblick zu behalten.
Inhaltsverzeichnis:
Warum das Medfluencertum boomt
Gesundheit ist längst nicht mehr nur ein Thema für Arztpraxen oder Fachzeitschriften. Auf TikTok, Instagram und YouTube häufen sich Inhalte rund um Fitness, Ernährung, mentale Gesundheit und medizinische Behandlungsmöglichkeiten. Der Grund: Die Menschen haben ein großes Bedürfnis nach leicht zugänglichen Informationen rund um ihre Gesundheit. Sie wollen schnelle Antworten, am liebsten direkt auf dem Smartphone.
Genau hier setzen Medfluencer*innen an: Sie bereiten komplexe Gesundheitsthemen auf scheinbar einfache Weise auf und treffen damit den Nerv der Zeit. Doch dieses Erfolgsrezept hat auch seine Schattenseiten. Denn im Gegensatz zu traditionellen Medien oder Arztpraxen gibt es auf Social Media keine zentrale Instanz, die Inhalte auf Richtigkeit überprüft. Jeder und jede kann sich als Gesundheitsexperte und -expertin inszenieren – ob mit oder ohne medizinische Ausbildung.
Dass Medfluencer*innen kein Randphänomen mehr sind, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Zwischen 400 und 1.000 aktive Medfluencer*innen soll es laut der Kommunikationsagentur MedServation allein in Deutschland geben. Tendenz steigend.
Eine von ihnen ist Vera Hagemann. Die Apothekerin nutzt ihre Reichweite auf LinkedIn, um medizinische Themen lebensnah zu vermitteln. Gleichzeitig arbeitet sie als Referentin für die SBK. Wir haben ihr Fragen gestellt – über ihre Motivation, die Verantwortung als Medfluencerin und darüber, wie sie mit Falschinformationen im Netz umgeht.

Dr. Vera Hagemann
Dr. Vera Hagemann ist Apothekerin und Expertin für Medizinrecht. Auf LinkedIn erklärt sie jede Woche Wissenswertes zu Medikamenten und befasst sich mit aktuellen Themen rund um Gesundheit, Prävention und aus dem Gesundheitswesen.
Gefährliche Fehlinformationen: wenn „Tipps“ zur Gefahr werden
Was auf den ersten Blick wie ein harmloser Ratschlag aussieht, kann im schlimmsten Fall ernsthafte gesundheitliche Folgen haben. Denn nicht alle Tipps, die in sozialen Netzwerken kursieren, sind medizinisch fundiert oder in ihrem Kontext korrekt wiedergegeben. Falsche oder unvollständige Informationen können Verunsicherung stiften, Therapien verzögern oder direkt gesundheitsschädlich sein.
Besonders kritisch wird es bei sensiblen Themen wie Impfungen, Krebstherapien, Ernährung oder mentaler Gesundheit. Wenn etwa vermeintliche Wunderkuren gegen Krebs beworben werden, kann das lebensgefährliche Auswirkungen haben. Auch bei psychischen Erkrankungen wird häufig mit unqualifizierten Ratschlägen hantiert – ein einfacher „Geh doch mal spazieren“-Tipp ersetzt nun mal keine professionelle Therapie.
Die Fälle, in denen Menschen auf problematische Medfluencer*innen hereinfallen, häufen sich. So sorgte etwa eine Influencerin für Aufsehen, die behauptete, man könne Brustkrebs durch eine strikte Rohkostdiät heilen – ohne jeden medizinischen Nachweis. In einem anderen Fall riet ein TikToker Jugendlichen davon ab, bei Depressionen ärztliche Hilfe zu suchen, und empfahl stattdessen Atemübungen und kalte Duschen.
Gerade deshalb ist es entscheidend, Informationen aus dem Netz kritisch zu hinterfragen und unseriöse Inhalte als solche zu erkennen.
Green Flags & Red Flags – woran erkenne ich seriöse Medfluencer*innen?
Zwischen all den fragwürdigen Gesundheitsversprechen im Netz gibt es sie durchaus: Medfluencer*innen, die verantwortungsvoll mit ihrer Reichweite umgehen. Doch woran erkennt man, ob ein Account wirklich vertrauenswürdig ist? Es gibt einige sogenannte Green Flags – positive Hinweise – und Red Flags – Warnsignale –, die Ihnen bei der Einordnung helfen.
| Green Flags | Red Flags | |
| Qualifikationen | Qualifikationen transparent im Profil genannt (z. B. Ärzt*in, Apotheker*in, Psycholog*in) | Ungeschützte Titel ohne fundierte Ausbildung (z. B. „Gesundheitscoach“, „Berater“) |
| Quellen | Verweise auf wissenschaftliche Studien, RKI, WHO etc. | Keine, unklare oder unseriöse Quellen (z. B. persönliche Anekdoten, Blogs) |
| Darstellung von Inhalten | Differenzierte Betrachtung der Inhalte, Abwägung von Vor- und Nachteilen, realistische Einordnung | Vereinfachte Aussagen, vermeintliche Wundermethoden („Diese Kapseln können Krebs heilen“) |
| Fakten vs. Meinung | Klare Trennung von Fakten und Meinung, Formulierungen wie „Meine Erfahrung …“ vs. „Wissenschaftlich belegt ist …“ | Vermischung von Meinungen und Fakten ohne Einordnung |
| Umgang mit Kritik | Sachlich, offen für Rückfragen und Diskussion | Kritik wird gelöscht oder ignoriert, Nutzer*innen werden blockiert |
| Heilversprechen | Keine Heilversprechen | Unrealistische Heilversprechen (oft gekoppelt an Produktverkauf) |
| Werbung | Transparente Kennzeichnung von Werbung, klare Trennung von Empfehlungen | Wahl der Inhalte abhängig von Werbekooperationen, keine Werbekennzeichnung |
| Kommunikation | Sachlich-informativ, aufklärend, ohne Panikmache | Emotionalisierend, panikmachend, angstauslösend |
Am Ende des Artikels finden Sie außerdem unseren Faktencheck – eine Übersicht über seriöse Anlaufstellen, um medizinische Inhalte gegenzuprüfen.
Zurück zu Vera Hagemann und ihrem Alltag als Medfluencerin.
Fallbeispiel: der Glukose-Trick
„Halte deinen Blutzuckerspiegel flach und du nimmst ab, bleibst gesund und lebst länger.“ Mit dieser Botschaft erreicht Jessie Inchauspé unter dem Namen „Glucose Goddess“ Millionen Menschen auf Social Media. Die studierte Biochemikerin hat mit ihrem „Glukose-Trick“ einen Ernährungstrend losgetreten, der sich rasend schnell verbreitet, insbesondere auf Plattformen wie Instagram und TikTok. Ihre Botschaft: Wer die richtige Reihenfolge beim Essen einhält – also etwa erst Gemüse, dann Proteine und zuletzt Kohlenhydrate – kann Blutzuckerspitzen vermeiden und langfristig Krankheiten vorbeugen.
Doch was ist dran an dieser These?
Tatsächlich ist es sinnvoll, den Blutzuckerspiegel möglichst stabil zu halten – vor allem bei Menschen mit Diabetes oder Insulinresistenz. Extreme Blutzuckerspitzen können langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Die Idee, solche Schwankungen durch die Reihenfolge der Nahrungsaufnahme zu reduzieren, klingt also zunächst plausibel. Allerdings gibt es wichtige Einschränkungen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Effekt der „richtigen Reihenfolge“ beim Essen begrenzt. Im Magen werden die Lebensmittel ohnehin vermischt, bevor sie weiter in den Darm gelangen. Entscheidend ist deshalb nicht, ob die Karotte vor der Pasta gegessen wurde, sondern vielmehr die Zusammensetzung der Mahlzeit insgesamt. Eine Rolle spielen auch die verzehrte Menge sowie die Art der Kohlenhydrate.
Komplexe Kohlenhydrate (z. B. aus Vollkornprodukten) werden langsamer verdaut als einfache Zucker (z. B. aus Süßigkeiten) – unabhängig von der Reihenfolge. Wer also insgesamt auf eine ausgewogene, ballaststoffreiche Ernährung achtet und stark verarbeitete Lebensmittel meidet, tut seinem Blutzuckerprofil deutlich mehr Gutes als durch reine Trickabfolgen beim Essen.
Fazit: Der Glukose-Trick ist kein Unsinn – aber er vereinfacht komplexe Prozesse stark und lässt sich nicht auf alle Menschen übertragen. Wer sich gesünder ernähren möchte, sollte nicht auf Social-Media-Taktiken allein setzen, sondern auf fundiertes Ernährungswissen und gegebenenfalls ärztliche Beratung.
Was können Plattformen wie Instagram & Co. gegen Desinformationen tun?
Plattformen wie TikTok, YouTube und Instagram haben verschiedene Maßnahmen eingeführt, um gegen Desinformationen vorzugehen. Mit teils unterschiedlichen Strategien:
Trotz aller Maßnahmen bleibt Wachsamkeit gefragt. Denn: Die Algorithmen sozialer Netzwerke belohnen vor allem Inhalte, die viele Reaktionen hervorrufen. Das sind häufig besonders zugespitzte oder emotionale Beiträge, deren Wahrheitsgehalt nicht immer überprüft ist. Auch die Regeln, nach denen Plattformen Beiträge als Desinformation einstufen oder entfernen, sind oft unklar. Nicht jeder irreführende Inhalt wird klar gekennzeichnet oder mit einem Warnhinweis versehen. Kurz gesagt: Falschinformationen sind nach wie vor schnell und einfach zugänglich. Die Verantwortung, seriöse Informationen von falschen zu unterscheiden, bleibt bei den Nutzer*innen selbst.
Fazit: Internet ersetzt nicht den Arztbesuch
So hilfreich und inspirierend Gesundheitsinfos aus dem Netz auch sein können – sie bleiben immer nur eine Ergänzung. Vor allem dann, wenn es um konkrete Beschwerden, Diagnosen oder Behandlungsentscheidungen geht, sollte Ihr erster Weg immer zur Ärztin oder zum Arzt führen. Dort erhalten Sie professionelle medizinische Beratung. Nur im persönlichen Gespräch können individuelle Hintergründe, Vorerkrankungen und passende Therapien wirklich berücksichtigt werden.
Wenn Sie Unterstützung bei der Terminvereinbarung brauchen, hilft Ihnen der
Faktencheck: Wo kann ich Aussagen gegenprüfen?
Bevor Sie Gesundheitsaussagen aus dem Netz vertrauen, lohnt sich ein kurzer Faktencheck. Hier finden Sie seriöse Anlaufstellen, um medizinische Inhalte zu prüfen:
Ein Angebot des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit gut verständlichen, wissenschaftlich geprüften Informationen.
Eine internationale Datenbank mit unabhängigen medizinischen Studien und Übersichtsarbeiten.
Aufklärungsseiten zu vielen Gesundheitsthemen, darunter Impfungen, Sucht, Sexualität, Ernährung.
Offizielle Informationen zu Infektionskrankheiten, Impfempfehlungen, Gesundheitsberichterstattung.
Wenn Sie die medizinische Qualifikation überprüfen wollen, hilft ein Blick in die Register der Ärztekammern.
Landesärztekammern (je nach Bundesland) oder z. B.
Übersicht über gesetzliche Regelungen, aktuelle Kampagnen und medizinisch geprüfte Informationen.
Tipp: Wenn Sie unsicher sind, einfach mal den Post-Inhalt kopieren und bei Google gemeinsam mit „RKI“, „gesundheitsinformation.de“ oder „Cochrane“ suchen. Oft finden sich so schnell fundierte Einschätzungen.

