Was es bedeutet, während Corona Schulkind zu sein
Psychologin Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll gibt Eltern praktische Tipps, wie sie ihre Kinder in dieser Zeit unterstützen können.
Besondere Zeiten für Schülerinnen und Schüler: vormittags lernen zu Hause, kein Sportverein, keine Treffen mehr mit Freunden am Nachmittag. Die Coronasituation hat einen massiven Einfluss auf den Alltag von Kindern und Jugendlichen. Was es für sie bedeutet, nicht mehr zur Schule zu gehen, welche Ängste Kinder und Eltern haben und warum diese Situation besonders die Kinder hart trifft, die ohnehin schon Probleme haben, im Unterricht mitzukommen, erklärt Psychologin Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll im Interview. Darüber hinaus gibt sie Eltern praktische Tipps, wie sie ihre Kinder in dieser herausfordernden Zeit unterstützen können.
Inhaltsverzeichnis:
1. Vor welchen Herausforderungen stehen Schülerinnen, Schüler und Eltern gerade?
FABIENNE BECKER-STOLL Vor großen – insbesondere die 6- bis 12-Jährigen und ihre Eltern: Denn je jünger die Kinder sind, desto mehr Unterstützung benötigen sie bei den Aufgaben, die sie von der Schule bekommen. Man kann keinen Grundschüler alleine lernen lassen. Hierbei spielt es auch keine Rolle, ob die Aufgaben analog oder digital gestellt werden. Vor allem Kinder in Übergangssituationen brauchen ganz viel Unterstützung, Ermutigung und Begleitung: Kinder, die neu an der Schule sind, oder Kinder, für die im nächsten Schuljahr ein Wechsel ansteht. Auch Vorschulkinder sind davon betroffen. Neben der Schule fällt zusätzlich der soziale Lebensraum „Freundeskreis und Verein“ weg: nicht mehr mit anderen Kindern spielen, kein Bolzen mehr auf dem Fußballplatz. Auch dies ist für die jüngeren Schülerinnen und Schüler besonders schwierig. Ab 13, 14 Jahren wird es dann einfacher: Jugendliche kommen besser klar – sofern die Schule ein klares Setting gibt.
Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll
ist Entwicklungspsychologin und Leiterin des Staatsinstituts für Frühpädagogik (IFP) in München.
Sie ist außerdem Professorin im Fachbereich Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Becker-Stoll beschäftigt sich schon lange mit der Frage, was Kinder brauchen, damit sie sich gut entwickeln können – und was das für die Familie, die Krippe, die Kita, den Hort und die Schule bedeutet.
Das IFP arbeitet eng mit der Praxis zusammen und forscht auch ganz aktuell zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kinder.
2. Wie ist die aktuelle Situation an den Schulen?
B.-S. Es gibt sehr große Unterschiede von Schule zu Schule. Schwierigkeiten gibt es vor allem an den Grund- und Mittelschulen. Letztlich liegt die Verantwortung bei den Schulleitungen und Lehrkräften. Lehrer – die häufig auch selbst Eltern sind – sollen im Wechsel online und offline unterrichten. Die technische Ausrüstung ist schlecht, wenn überhaupt, können nur wenige Lehrer in der Schule gleichzeitig online arbeiten, weil sonst die Netzverbindung zusammenbricht.
3. Wird der fehlende Schulalltag negative Folgen auf die Entwicklung der Kinder haben?
B.-S. Vielen Eltern bereitet das gerade Sorgen – und leider muss ich sagen: Die Sorgen sind teilweise berechtigt. Das trifft vor allem auf Kinder zu, die sogenannte „soziale Lerner“ sind. Diese lernen besonders gut im Lebensraum Schule. Oder auch auf Kinder, die viel äußere Struktur für den Lernprozess benötigen – also einen festen Tages- und Wochenablauf. Das alles können die Eltern
4. Welche Ängste und Sorgen haben viele Kinder?
B.-S. Viele Kinder leiden sehr unter dem fehlenden Kontakt, unter der sozialen Isolation. Sie haben Angst, ihre Freunde zu verlieren: Freundschaft ist bei Kindern in diesem Alter noch wenig reflektiert, sie verstehen nicht, dass ein Freund eben ein Freund bleibt, auch wenn man sich mal zwei Wochen lang nicht sieht, nicht miteinander spricht. Kindern, die diese Sorgen artikulieren können, kann man helfen. Viele, vor allem kleinere, können das aber noch nicht. Sie haben dann Bauchweh, Langeweile, ziehen sich zurück.
5. Welche Folgen, vor allem für die psychische Gesundheit, sind jetzt schon nachgewiesen?
B.-S. Kinderärzte sehen jetzt, dass die Anzahl der Kinder mit fortschreitenden Depressionen oder Essstörungen stark steigt. Zudem holen die Eltern oft
6. Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen?
B.-S. Sie sollten täglich mit ihren Kindern reden und zugewandt bleiben, Interesse zeigen, sie begleiten. Dabei sollten sie auch aktiv nachfragen: „Wo drückt der Schuh, wen vermisst du, wie geht es dir, wie ging es dir heute?“ Gemeinsam mit den Kindern kann man auch Rituale einführen und überlegen, was in dieser Zeit der ganzen Familie guttut. Welche Freiheiten können wir dem einzelnen Kind geben, die es sonst nicht hat? Dazu gehört auch, dass Eltern den Kindern vielleicht mehr erlauben als sonst – in vereinbarten Grenzen. Eltern sollten ausloten, was sie – trotz der wenigen Freiheiten – tun können, um dem Bewegungsdrang der Kinder gerecht zu werden. Dieser ist im Alter von 6 bis 10 Jahren am stärksten: in den Wald gehen, einen Parcours aufbauen oder Ähnliches. Im schulischen Bereich appelliere ich an die Eltern, sich selbst und das Kind vor zu hohen Erwartungen zu schützen. Was ist der Bedarf des einzelnen Kindes? Hier gilt ebenfalls: im Gespräch mit den Kindern bleiben und wenn nötig auch mit den Schulleitern und Lehrern. Keinesfalls sollten Eltern nachts die Aufgaben der Kinder erledigen. Wenn etwas nicht geht, geht etwas nicht. Und ganz wichtig: keine Zwänge eins zu eins am Kind auslassen.
7. Wie können die Schulen Chancengleichheit wieder herstellen?
B.-S. Ich finde es wichtig, dass der Bildungserfolg, das Wohlergehen und die Entwicklung der Kinder nicht alleine in der Verantwortung der Eltern gesehen werden. Dann hängen Bildungschancen zu sehr von den Ressourcen der Eltern ab. Kinder haben Rechte. Dazu gehört auch das Recht auf eine bestmögliche Bildung. Das hat jedes Kind, egal wie der familiäre Hintergrund ist. Manche Kinder sind schon nach zwei Wochen abgehängt. Daher sollten wir auch bei den Ferien ansetzen – und allen Kindern ein buntes Programm anbieten, niederschwellig, freiwillig und pädagogisch wertvoll. Kinder sollen dort mit ganz viel Spaß das nachlernen können, was sie verpasst haben: Schreiben, Rechnen, Lesen, Englisch. Jedes Kind soll seine individuellen Lücken schließen können. Dazu braucht es Lehrer, Mitarbeiter vom Jugendamt und Sozialarbeiter. Noch ein Plus: Die Kinder sind kostenlos versorgt und die Eltern können beruhigt zur Arbeit. Daher wäre das auch nach der Pandemie ein gutes Modell.
Diese Tipps gibt Frau Prof. Dr. Becker-Stoll besorgten Eltern:
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Psychische Gesundheit
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