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Der Morbi-RSA: Die Aufgabe ist es, Krankheitskosten auszugleichen

Meinung: Das aktuelle Gutachten des AOK-Bundesverbandes zur Weiterentwicklung des Morbi-RSA lenkt die Diskussion in die falsche Richtung, findet SBK Finanzexperte Christian Keutel (28.10.2022)

Sozio-ökonomische Faktoren gehören nicht in den Morbi-RSA, meint SBK-Finanzexperte Christian Keutel

Der AOK-Bundesverband hat unter der Überschrift „Weiterentwicklung des RSA – Berücksichtigung sozio-ökonomischer Versichertenmerkmale“ ein Gutachten erstellen lassen, dessen Ergebnisse nun veröffentlicht sind. Schon an der Überschrift dieses Gutachtens erkennt man meiner Meinung nach deutlich, dass die nun angefachte Diskussion rund um den Morbi-RSA in die falsche Richtung gehen wird. 

Der Morbi-RSA soll das notwendige Geld zur Verfügung stellen für die medizinische Versorgung Kranker – und das unabhängig vom sozialen Status

Denn: Die Berücksichtigung sozio-ökonomischer Versichertenmerkmale ist überhaupt nicht Aufgabe des Risikostrukturausgleichs. Er soll Morbiditätskosten ausgleichen – und zwar ganz unabhängig vom sozialen Status der Versicherten. Es ist ja sogar ganz im Gegenteil die Aufgabe der solidarisch organisierten gesetzlichen Krankenversicherung die Absicherung im Krankheitsfall für ALLE Versicherten zu gewährleisten, egal ob angestellt oder arbeitslos, ob im Erwerbstätigen- oder im Rentenalter, ob Gut- oder Schlechtverdiener. Es gilt das Solidaritäts- und nicht das Äquivalenzprinzip. 

Mir stellt sich schon die Frage, warum das Gesundheitssystem bei gleicher Krankheit für spezielle Personengruppen mehr Geld für die Versorgung zur Verfügung stellen sollte, als für andere. Warum sollte es mehr Geld geben für die Behandlung eines Erwerbsminderungsrentners mit Diabetes als für eine alleinerziehende berufstätige Mutter mit der gleichen Erkrankung? 

Die Zahlen im Gutachtes sind nicht falsch, nur die Schlussfolgerungen

Auch wenn ich also die Grundüberlegungen des Gutachtens überhaupt nicht nachvollziehen kann, hier noch ein paar grundsätzliche inhaltliche Anmerkungen zu den Erkenntnissen:

  • Ich zweifle grundsätzlich nicht an, dass die Zahlen stimmen. Eine Unterdeckung - das heißt weniger Zuweisungen als Kosten - ist bei den genannten Gruppen nicht unwahrscheinlich. Da das System bewusst Durchschnittskosten ansetzt, um eine effiziente Versorgung zu fördern, ist folglich jede beliebige Teilgruppe entweder unter- oder überdeckt. Aus diesem Grund kann ich die Schlussfolgerungen nicht nachvollziehen.
  • Die Zuweisungen, die wir Kassen für ältere Menschen mit mehreren Krankheiten bekommen, liegen insgesamt über den Ausgaben. Wenn man nun gezielt Untergruppen davon herausnimmt und für die Versorgung dieser mehr Geld fordert, steigt dann auch der Überschuss der Gesamtgruppe? Eine Auseinandersetzung mit anderen Umsetzungsvarianten und Teilgruppen fehlt in dem Gutachten, ebenso wie die Einordnung des theoretischen Problems und der Ergebnisse für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung.
  • Wenn die Kassen für die vier Versichertengruppen der Pflegebedürftigen, Arbeitslosen, Erwerbsminderungsrentner*innen und zuzahlungsbefreiten Versicherten mehr Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds erhalten, folgt daraus, dass eine andere Versichertengruppe weniger Zuweisungen erhält und damit die Kosten für diese weniger gut gedeckt sind. Es handelt sich dabei um eine reine Umverteilung, die nicht mehr Geld für die Versorgung der Versicherten bereitstellt. Daher darf man das nicht isoliert betrachten.
  • Dass für die Versorgung der Bezieher von Arbeitslosengeld II zu wenig Geld zur Verfügung gestellt wird, das haben alle Kassen in den letzten Wochen immer wieder bestätigt. Nur: Die Kosten für diese zu tragen, ist Aufgabe des Staates, nicht der anderen Versicherten in der Solidargemeinschaft. Es muss nicht der Morbi-RSA angepasst werden, sondern der Steuerzuschuss. 
  • Und zuletzt noch ein Gedanke, der mich hinsichtlich der vermuteten Risikoselektion umtreibt: Wenn die Krankenkassen entsprechend agieren könnten bzw. würden, warum sind dann nach über 10 Jahren Morbi-RSA ohne sozio-demographische Variablen immer noch höhere Ausgaben in diesen Gruppen feststellbar?
  • Wir brauchen nachhaltige Reformen in der Versorgung, kein Rumdoktern am Finanzausgleich

    Die letzte RSA-Reform hatte zum Ziel, die Verteilung der Versichertengelder auf die Kassen fairer zu gestalten. Mir scheint, dass dieses Ziel erreicht wurde – auch wenn man das schlussendlich erst nach dem Schlussausgleich im November und der vom Gesetz vorgesehenen Evaluierung der Weiterentwicklung durch den wissenschaftlichen Beirat des Bundesamtes für soziale Sicherung sehen wird.

    Bis dahin würde ich mir wünschen, dass wir uns jetzt um die wirklich dringenden Fragestellungen kümmern: Wichtig ist es, eine gute, nachhaltige und vom sozialen Status unabhängige Versorgung der Versicherten beizubehalten und Lösungen dafür zu finden, diese auch langfristig finanzieren zu können. Wir müssen vorhandene Mittel sinnvoll einsetzen sowie Über- und Fehlversorgung abbauen. Wir müssen Vernetzung fördern und Versorgung besser koordinieren. Darauf sollten wir uns konzentrieren.

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