„Wie geht es Ihnen heute?“
Hintergrund: Wie die Niederlande ihre Gesundheitsversorgung durch Patientenfeedback besser machen (04.11.2024)
„Der Mensch steht im Mittelpunkt“ – auf dieses Prinzip der Gesundheitsversorgung können sich alle Akteure in Deutschland einigen. Aber stimmt das wirklich?
Bei genauerer Betrachtung fällt vor allem eines auf: Wenn wir von Versorgungsqualität sprechen, fehlt die Patientenperspektive. Wie werden die vom System erbrachten Leistungen und Services eigentlich von denjenigen bewertet, die behandelt werden?
Die Bewertung von Versorgungsleistungen beruht meist auf „harten“, objektivierbaren Daten – zum Beispiel zur Mortalität oder der Verweildauer in einer Klinik. Das subjektive Feedback von Patientinnen und Patienten jedoch wird hierzulande weder systematisch erfasst noch ausgewertet. Dabei birgt das Patientenfeedback erhebliches Potenzial. Qualitativ gute Versorgung braucht den Dreiklang aus klaren Strukturen, effektiven Prozessen und einer hohen Ergebnisqualität.
Feedback und Qualitätsorientierung im Versorgungsalltag
Validierte Fragebögen – sogenannte Patient-Reported Outcome Measures (PROMs) – sind das Herzstück für die Erfassung und Nutzung von Patientenfeedbacks. Sie ermöglichen es Patientinnen und Patienten auf eine neue Art und Weise zuzuhören.
Auf Papier, digital, vor und nach einer Behandlung. Bei chronischen Erkrankungen auch fortlaufend. Gefragt wird zum Beispiel nach einer persönlichen Einschätzung zu verschiedenen Beschwerden, welche Körperteile betroffen sind und wie stark die Beschwerden bestimmte Alltagsbereiche beeinflussen. Das Ziel? Endlich die Patientensichtweise zur Beurteilung von Versorgungsergebnissen mit in den Versorgungsalltag integrieren.
In den Niederlanden gibt es eine Vielzahl an PROMs-Initiativen. Einige davon landesweit, wie das Niederländische Institut für klinische Audits (DICA). Es erstellt – unter Einbindung von medizinischen Fachkräften sowie Patientinnen und Patienten – definierte Fragebögen für inzwischen 26 Indikationen: von Onkologie, Diabetes, Herzkrankheiten bis hin zu Nierenerkrankungen. Seit 2018 können Krankenhäuser ein tagesaktuelles Dashboard nutzen, um Auswertungen der Daten für die laufende Optimierung ihrer Leistungen einzusetzen. Der bereitgestellte Datenschatz hilft allen Beteiligten, im direkten Austausch miteinander über individuelle Behandlungswege zu entscheiden (Shared Decision Making).5 Sie tragen dadurch zu einer besseren Therapiesteuerung und einem guten Arzt-Patienten-Verhältnis bei.
Heute berichten Mediziner wie Prof. Dr. Willem Jan Bos vom LUMC & St. Antonius Krankenhaus in Nieuwegein von handfesten Verbesserungen: Seit dem regelmäßigen Austausch mit anderen Kliniken zu Qualitätskennzahlen verzeichnet der Nierenspezialist einen Rückgang der Sterblichkeitsrate bei Dialysepatient*innen im Vergleichszeitraum um 50 Prozent. Außerdem konnten die nationalen Dialyse-Zahlen seit 2008 konstant gehalten werden – trotz alternder Bevölkerung und steigendem Bedarf. „Der Einsatz von PROs hat uns geholfen, die Behandlungen besser auf die Bedürfnisse auszurichten. Wir lernen jeden Tag von unseren Patientinnen und Patienten und sehen positive Effekte. Sowohl in der Therapiesteuerung als auch in der Beziehung mit unseren Patient*innen.“
Ebenso greifbare Ergebnisse kann Santeon, ein Netzwerk aus sieben Krankenhäusern, vorweisen. Der Bedarf an chirurgischen Zweiteingriffen von Brustkrebs-Patientinnen sank um 74 Prozent. Patientinnen und Patienten können nach Hüftoperationen durchschnittlich vier Tage früher entlassen werden.6
Die Umsetzung des Konzepts nahm in den Niederlanden richtig Fahrt auf, als 2017/18 erstmals ein ordnungspolitischer Rahmen für fachliche und regionale Bottom-up-Initiativen geschaffen wurde. Ärzteschaft, Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter sowie Kliniken, Krankenkassen und die Politik kamen in einer nationalen Strategie überein, bei fachärztlicher Versorgung systematisch Patientenfeedbacks für Krankheiten, die 50 Prozent der Behandlungen ausmachen, zu erheben und später zu veröffentlichen.
Ziel der nationalen Strategie ist es, datenbasierte Feedback-Systeme zu entwickeln sowie die vielfältigen Bottom-Up-Initiativen zu unterstützen und in die Breite zu skalieren. Die Anzahl digital erfasster patientenberichteter Outcomes (PROs) und Erfahrungen (PREs7) wird nach und nach ausgebaut. Die Zuständigkeit für die Erhebung, Analyse und Reports liegt bei verschiedenen Instituten. Allen voran das Niederländische Institut für klinische Audits (DICA). DICA wird über Forschungszuschüsse und über einen Beitrag der Krankenkassen finanziert.8
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2Handelsblatt, 11.10, Effizienz zum Einheitspreis.
3Ebd.
4OECD „Health at a glance”, 2023 (Präsentation Willem Jan Bos)
5
6Ebd.
7Über die Patient Reported Experiences (PRE) fließen die Erfahrungen mit Pflegepersonal und Services in die Bewertung ein.
8
9 Ebd.
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