Chancen der Digitalisierung in der GKV nutzen

Meinung: SBK-Vorständin Dr. Gertrud Demmler über die entscheidenden Weichenstellungen auf dem Weg zu einer digitalen GKV (25.01.2017)

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Wer zum Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen recherchiert, landet unweigerlich bei eher technischen Aspekten, etwa den Chancen der digitalen Medizin oder der Möglichkeit, Prozesse zu automatisieren. Worum es selten geht, sind die Chancen, die in der digitalen Kommunikation mit den Versicherten stecken. Und die dringenden Anforderungen an den Datenschutz, die sich daraus ergeben.

Digitale Mehrwerte schaffen
Digitalisierung in der gesetzlichen Krankenversicherung – auf den ersten Blick bedeutet das: Wir nutzen intelligente IT, um die Geschäftsprozesse einer Krankenversicherung zu automatisieren, Bescheide zu beschleunigen und Bürokratie für unsere Versicherten zu verringern. In der Tat ist das ein dringendes Handlungsfeld. Die gesetzliche Krankenversicherung hinkt deutlich hinter anderen Branchen her und vergibt Chancen, das Leben für die Versicherten einfacher zu machen. Es geht vor allem darum, den Versicherten mehr Wahlfreiheit in der Kommunikation zu geben und die Transparenz zu erhöhen – zum Beispiel über den Bearbeitungsstand eines Antrags. Wo es keine rechtlichen Hürden gibt, müssen wir unseren Versicherten deshalb mehrere Kontaktkanäle eröffnen. Sie sollen selbst entscheiden, wie sie mit ihrer Kasse kommunizieren möchten – persönlich, postalisch oder eben digital.

Versichertengemeinschaft wird zur Community
Große Chancen verspricht digitale Kommunikation auch an anderer Stelle: So ist eine schnellere und direktere Kommunikation mit den Versicherten möglich. Ein Potenzial, das die SBK schon heute im Kundenservice nutzt und deutlich erweitern möchte: Wir haben die Chance, von unseren Versicherten eine unmittelbare und systematische Rückkoppelung aus der Versorgungsrealität zu erhalten. Nur damit können wir uns weiterentwickeln. Ein gutes Beispiel ist die Versorgung mit Hilfsmitteln: Die unmittelbare Leistung erfolgt in der Regel über andere Gesundheitsdienstleister. Das Feedback unserer Versicherten erhalten wir oft spät, in jedem Fall nicht unmittelbar. Das ist schade und nimmt uns die Chance, zeitnah etwas für die Patienten zu ändern. Digitale Plattformen wie Apps oder Communities eröffnen uns neue Wege, direkt mit den Versicherten in Kontakt zu treten und ihre Bedürfnisse im Alltag einzuholen.

Datenverfügung stärkt Autonomie der Versicherten
Digitalisierung steht und fällt jedoch mit einem zukunftsfähigen Konzept zum Umgang mit diesen Daten. Ein solches Konzept fehlt aus meiner Sicht. Was vielen vielleicht nicht klar ist: Keine andere Instanz im Gesundheitswesen hat einen vergleichbaren Überblick über die Versorgungssituation eines jeden einzelnen Versicherten. Bereits heute werden laufend relevante Daten aus der und für die Versorgung generiert. Diese fließen bei den gesetzlichen Krankenkassen zusammen: Leider bleibt das Potenzial, das in diesen Informationen steckt, ungenutzt. Digitalisierung bedeutet für mich auch, dass wir über den Umgang mit diesen sensiblen Daten sprechen und dabei die Augen nicht vor der Realität verschließen. Und die Realität wartet nicht noch einmal zehn Jahre, wie das bei der elektronischen Gesundheitskarte der Fall ist.

Die SBK plädiert für eine Lösung zur Speicherung aller gesundheitsrelevanten Daten, mit selektiven, auch temporären Zugriffsrechten, die der Versicherte selbst vergibt. Wir setzen uns zudem für eine verpflichtende Datenverfügung, nach dem Vorbild der Patientenverfügung, ein. Denn: Der Versicherte muss zu jedem Zeitpunkt Herr seiner Daten sein. Das gilt für Kontakt- und Versicherungsangaben genauso wie für Informationen über Medikation, Diagnosen, Arztbesuche oder seine Rückmeldungen zu Hilfsmitteln. Der Versicherte sollte in einer Verfügung, für alle Beteiligten bindend, dokumentieren, wem er worauf Zugang gewährt und wofür. Es gibt nur wenige Bereiche, in denen Daten rechtsbegründend, also verpflichtend freigegeben werden müssen, alles andere muss in der Autonomie der Versicherten liegen.

Individuelle Beratung ermöglichen
Eine solche Lösung könnte erstmals auch eine individualisierte und proaktive Beratung durch die Krankenkasse möglich machen. Denn: Der aktuelle Datenschutz sieht die Kassen vorrangig als Kostenträger und verbietet das Zusammenführen von Gesundheitsdaten zu Beratungszwecken. Das ist nicht vereinbar mit dem Beratungsauftrag der Kassen und entspricht auch nicht dem, was viele Versicherte von uns erwarten: maßgeschneiderte Beratung und für sie passende Unterstützungsangebote. Auf Basis der vorhandenen Daten und mit entsprechender Datenfreigabe könnte der Versicherten bei seiner Krankenkasse gezielte Beratung zu seinen Belangen einfordern. Und die Kasse könnte im Gegenzug Versorgungsdaten analysieren und proaktiv individuelle Unterstützungsangebote unterbreiten – wenn der Versicherte dem zustimmt.

Konstruktiver Dialog
Ich wünsche mir für die nahe Zukunft einen konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten. Wenn wir unseren Versicherten nicht bald digitale Kommunikations- und Vernetzungslösungen innerhalb des deutschen Datenschutzes anbieten, werden uns kommerzielle Anbieter links und rechts überholen. Wir müssen unseren Versicherten endlich die Entscheidung über die Nutzung ihrer Gesundheitsdaten in die Hand geben, ihnen zutrauen, dass sie mit dieser Transparenz umgehen und gute Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen können. Und wenn der Versicherte es wünscht, stehen wir als Kassen mit individueller Beratung zur Seite – das ist unsere Stärke und echte Hilfe für unsere Versicherten.

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