Kassenfinanzen und Morbi-RSA

Hintergrund: Volkskrankheiten, manipulierte Diagnosen und viel Geld (06.05.2018)

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SBK fordert lernendes System Morbi-RSA. Der Effekt: Mehr Verteilungsgerechtigkeit und ein fairer Kassenwettbewerb

Morbi-RSA: Was ist das?

Der Kassenfinanzausgleich, der die Beiträge aus dem Gesundheitsfonds an die einzelnen Krankenkassen verteilt (Morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich, kurz: Morbi-RSA), schüttet Zuweisungen aus, wenn Versicherte an einer von rund 80 festgelegten Krankheiten erkranken. Kassen erhalten also Geld, wenn ihre Versicherten an bestimmten Krankheiten leiden – nachgewiesen durch entsprechende ärztliche Diagnosen. Die Höhe der Zuweisungen hängt damit von der Qualität der Diagnosen ab. Krankenkassen gingen daher in den Dialog mit den Ärzten, um die Diagnosequalität zu verbessern. Dieses Vorgehen wurde im Herbst 2016 publik, der Gesetzgeber hat bereits reagiert und eine Vielzahl von Aktivitäten untersagt. Dennoch stellt sich die Frage: Wie manipulationsanfällig ist der Kassenfinanzausgleich? Wie kann ein faires System umgesetzt werden?

Morbi-RSA: Wie genau funktioniert er?

Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zahlen ihre Beiträge in den Ge-sundheitsfonds ein. Zusammen mit dem Steuerzuschuss verfügt der Fonds über ein Volumen von ca. 200 Milliarden Euro jährlich. Die Kassen erhalten daraus die für die Versorgung ihrer Versicherten notwendigen Mittel.

Eine solidarische und gerechte Verteilung der Gelder soll ein Ausgleichssystem gewährleisten. Dieser Mechanismus teilt den einzelnen Krankenkassen Zuweisungen auf Basis von Alter, Geschlecht und Morbidität der Versicherten zu. Für die eigene Verwaltung sowie für Zahlungen von Krankengeld, Präventionsangebote oder bei Erwerbsminderung eines Versicherten werden Zuweisungen fällig.

Morbi-RSA: Das Problem!

Die Systematik des Morbi-RSA soll sicherstellen, dass die Krankenkassen genau die Beitragsgelder erhalten, die sie zur adäquaten Versorgung ihrer Versicherten benötigen. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt: Wer die „richtigen“ Diagnosen vorweisen kann, erhält mehr Geld.

Durch seine Struktur fördert der Morbi-RSA Schieflagen in den Finanzen der Krankenkassen. Aktuell variiert so das Verhältnis zwischen Ausgaben und Zuweisungen, die sogenannte Deckungsquote, deutlich nach Kassenart. Spreizungen von 99 Prozent (IKK) bis 101 Prozent (AOK) klingen zunächst gering. Fakt ist jedoch: Diese Differenz von rund 2 Prozentpunkten in der Deckungsquote entspricht rund 0,3 Beitragssatz-Punkten.

Darüber hinaus werden bei der Verteilung der Mittel aus dem Gesundheitsfonds wichtige Faktoren wie der Wohnort von Versicherten bislang nicht berücksichtigt.

Morbi-RSA: Was muss passieren?

Mit dem Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) vom 4. April 2017 wurde der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesversicherungsamt mit einer weiteren Evaluation der Wirkungen des Morbi-RSA beauftragt. Dieser hatte im Zuge einer 2010 beauftragten vorangegangenen Bewertung des Morbi-RSA schon einigen Handlungsbedarf definiert, dem der Gesetzgeber im GKV-Finanzstruktur- und Qualitätsweiterentwicklungsgesetz (GKV-FQWG) vom 21. Juli 2014 Rechnung getragen hatte. So wurden hier bei der Berechnung der Zuweisungen für Krankengeld und Auslandsversicherte Ist-Kosten-Elemente als Übergangslösung eingeführt, um die Zielgenauigkeit dieser Zuweisungen zu erhöhen.

Morbi-RSA: Was die SBK fordert!

Die SBK begrüßt solche Weiterentwicklungen des lernenden Systems Morbi-RSA. Sie fordert weitere Reformen. Ziel muss es sein, die Deckungsquoten der Kassen anzugleichen und die Ausgangsbasis für fairen Wettbewerb zu schaffen. Dabei fokussiert die SBK die folgenden Punkte:

Die Gesundheitsversorgung in München mit Universitätskliniken und Forschungszentren ist teurer als die im Bayerischen Wald. Was jedem sofort einleuchten dürfte, spielt im Morbi-RSA keine Rolle. Dabei haben Wissenschaftler mehrfach belegt, dass der Faktor „Region“ großen Einfluss auf die Kosten hat. So erhalten Krankenkassen für ihre Versicherten in Ballungsräumen systematisch zu wenig Zuweisungen. Wir fordern deswegen, die Wirkung des Faktors „Region“ auf einer breiteren Datenbasis zu analysieren und den Morbi-RSA hier zu verbessern.

Durch die starke Gewichtung der Häufigkeit im aktuellen System werden sogenannte „Volkskrankheiten“ im Morbi-RSA finanziell bevorzugt, die zwar häufig auftreten, aber nicht übermäßig kostenintensiv sind und einer Prävention zu-gänglich wären. Sehr kostspielige Krankheiten, die nicht über Prävention verhindert werden können, bleiben jedoch außen vor. Aus Sicht der SBK muss das Ziel des Morbi-RSA eine gute Mischung aus seltenen, teuren und häufig auftretenden, chronischen Krankheiten sein. Denn mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgt für einen fairen Kassenwettbewerb – und davon profitieren letztendlich die Versicherten.

Die SBK fordert einheitliche Richtlinien für das korrekte ambulante Kodieren von Diagnosen durch Haus- und Fachärzte sowie eine verpflichtende Softwarelösung in Arztpraxen, die Plausibilitätschecks und Kodierhinweise automatisiert für Versicherte aller Kassen einspielt.

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