Diagnosevergütung und Manipulationsresistenz des Morbi-RSA
Meinung: Die im Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz vorgesehenen Regelungen dürfen nicht aufgeweicht werden (29.11.2019)
Das GKV-FKG scheint zu einer unendlichen Geschichte zu werden. In einem ersten, sehr mutigen Aufschlag hat Jens Spahn versucht den Kassenwettbewerb neu (und fairer) zu gestalten. Aktuell wird nur noch über eine deutlich abgespeckte Version des Gesetzes diskutiert. Das ist schade, schließlich war der Wettbewerb sogar Namensgeber für die Gesetzesinitiative – aber besser als nichts. Mehr als schade ist hingegen der Versuch, weitere wesentliche Teile des Gesetzesvorhabens aus dem Gesamtpaket herauszulösen. Es besteht damit die Gefahr, dass die beabsichtigten Regelungen zu bürokratischer Augenwischerei verkommen.
Nehmen wir einmal die Diskussion um das Verbot der Diagnosevergütung. Vereinbarungen, die bestimmte Diagnosen als Voraussetzungen für Vergütungen vorsehen, sollen unzulässig sein. Hintergrund: In der Vergangenheit waren diese Diagnosen von einzelnen Krankenkassen immer wieder genutzt worden, um die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu maximieren. Ganz nach dem Motto – wer den Arzt extra vergütet, bekommt die Diagnosen, die er für den Morbi-RSA braucht. Eine Kennziffer zeigt, wie groß das Manipulationspotenzial ist. Im FKG ist die Einführung einer Manipulationsbremse vorgesehen. Sie besagt: Wenn die Diagnosekodierungen bei bestimmten Krankheiten auffällig stark steigen, bekommen alle Krankenkassen hierfür keine Zuweisungen mehr. Bis zu 20 Milliarden Euro würden gemäß dieser Regelung neu zwischen den Kassen verteilt.
Da klingt es ganz logisch, dass das Zusammenspiel aus Vergütung und Diagnose verboten werden soll. Und dennoch melden Kassen, aber auch Landespolitiker, Bedenken an. Ihr Argument: Um Versorgung zu gestalten, brauchen wir Diagnosen in den Verträgen. Hausarztverträge und auch Selektivverträge müssen genaue Beschreibungen erhalten, welche Patienten mit welchen Diagnosen welche Behandlungen erhalten und wie diese vergütet werden.
Da widersprechen wir nicht. Natürlich brauchen wir Anknüpfungspunkte in den Verträgen. Das stellt auch die geplante gesetzliche Regelung nicht in Frage. Es geht nur darum, WIE die Diagnosen eingebunden werden. Müssen es wirklich ganze Listen mit detaillierten Einzel-Diagnosen sein oder reicht nicht die Krankheitsebene? Müssen es wirklich die fünfstelligen Kodes sein, die im Rahmen der Morbi-RSA-Datenlieferung von den Kassen weitergegeben werden müssen, oder reichen 3 Stellen („3 statt 5“)? Wir sagen: Für ein sinnvolles Versorgungskonzept ist eine obere Abstraktionsebene völlig ausreichend. Und bietet weniger Spielraum für Manipulationen.
Versorgungskonzept ist in diesem Zusammenhang übrigens ein wichtiges Stichwort. Für uns steht bei der Verknüpfung von Diagnose und Vertrag die Versorgung der Patienten im Mittelpunkt. Das heißt: Es gibt ein Versorgungsproblem für unsere Versicherten, das wir über einen gesonderten Vertrag zu lösen versuchen. Da braucht es zum einen natürlich eine bestehende Krankheit beim Betroffenen, zum anderen aber auch eine ausführliche Beschreibung der vertraglich vereinbarten Leistungen. Sonst wird gar kein Problem gelöst, keine Versorgung verbessert. Sonst gibt es nur einen Honoraraufschlag für die Ärzte, eine Zuweisungserhöhung für die Kasse – und nichts für den Versicherten.
Zusätzlich dazu stehen noch weitere Lösungsvorschläge im Raum, die durchaus sinnvoll sind – zum Beispiel ist im FKG die Schaffung einer Transparenzstelle vorgesehen, in der künftig auch ein zentrales Register für bestehende Verträge geführt werden soll. Damit wird die bereits jetzt mögliche Prüfung der Verträge durch das BVA deutlich einfacher. Sie müssen sich bei den Kassen nichts mehr anfordern, sondern können auf dieses Register zugreifen. Hier wäre es ein Leichtes einen Schritt weiter zu gehen und die regelmäßige Prüfung auf RSA-Konformität obligatorisch vorzuschreiben.
Ab 2023 gelten die einheitlichen Kodierrichtlinien – bis dahin aber sollten wir nicht untätig zusehen, wie Versichertengelder über Manipulationen der Solidargemeinschaft entzogen werden. Die geplanten Regelungen zur Diagnosevergütung dürfen nicht angetastet werden.
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Kodierbeeinflussung bringt Geld aus dem Morbi-RSA
Spätestens seit 2016 ist bekannt, dass Kassen seit Jahren auf Ärzte einwirken, Patienten auf dem Papier künstlich kränker zu machen. Softwaregestützte Manipulationsberatung oder Kodieranreize über Zusatzverträge helfen dabei.
Krankenkassen, die Ärzte beeinflussen, ihre Versicherten kränker zu machen, als sie wirklich sind, haben erhebliche finanzielle Vorteile: Für das ärztliche „up-coding“ erhalten sie mehr Geld aus dem Risikostrukturausgleich.
Der Versicherte erfährt davon erst, wenn es zu spät ist. Lebens-, genauso wie Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen, die den Gesundheitszustand eines Antragstellers berücksichtigen, fordern höhere Prämien als notwendig oder verweigern den Versicherungsschutz gänzlich.
Quelle: BKK Dachverband
Was ist das GKV-FKG?
Die Ziele des geplanten „Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der GKV“ (Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz GKV-FKG) sind eine Neustrukturierung des Morbi-RSA, also des Finanzausgleichs der Kassen untereinander, und eine Stärkung eines fairen Wettbewerbs zwischen den Kassen. Der Referentenentwurf wurde am 25. März 2019 veröffentlicht, am 9. Oktober 2019 verabschiedete die Bundesregierung einen abgeänderten Kabinettsentwurf.
Wie geht es jetzt weiter?
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