Unsere Vision: Vom Expertentum zum mündigen Patienten

Meinung: Unser Branchenimpuls zum Qualitätswettbewerb in der Gesetzlichen Krankenversicherung (17.10.2018)

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Gesetzlich Versicherte profitieren, wenn die gesetzlichen Krankenkassen zueinander im Wettbewerb stehen. Auf den ersten Blick ist klar, was gemeint ist: Ziel ist weniger Bürokratie, dafür mehr Effizienz, mehr Wirtschaftlichkeit und insgesamt mehr Qualität. Auf den zweiten Blick stellt sich die Frage: Was heißt mehr Qualität? Bisher kennt der politische und Fach-Diskurs nur eine Qualität: Qualität in der medizinischen Versorgung. Aus Versichertensicht ist der Qualitätsfokus auf die Versorgung wichtig – aber zu kurz gesprungen. Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gibt es Qualität – vielmehr: Es gibt Qualitätsunterschiede. Unterschiedliche Kassen erfüllen ihre Aufgabe unterschiedlich gut.

Was wir brauchen, ist ein neuer Qualitätsbegriff für die GKV, um eben diese Unterschiede greifbar und Qualität vergleichbar zu machen. Im Zentrum muss dabei der Versicherte stehen. Das ist aktuell nicht der Fall. Im Gegensatz zu anderen Dienstleistungsbranchen ist der Qualitätsbegriff im Gesundheitswesen Experten-getrieben: Ärzte, Wissenschaftler, Kassenmanager oder Gesundheitsökonomen legen fest, was ein gutes Ergebnis für den Versicherten und Patienten ist – weitgehend unabhängig davon, wie der Patient die Behandlung oder der Versicherte das Vorgehen seiner Kasse tatsächlich erlebt hat. Dies muss sich ändern: Wir müssen den Patienten und Versicherten als mündiges Subjekt begreifen und ihm eine kompetente Entscheidung für seine Gesundheit zutrauen. Mehr noch: Seine Erfahrungen, wie er eine Behandlung oder Beratung wahrgenommen hat, müssen zentraler Maßstab in der Qualitätsdebatte der GKV werden.

Unsere Erfahrung: Rückmeldung von Versicherten ernst nehmen

Aktuell sind die Erfahrungen der Versicherten mit ihrer Krankenkasse nicht transparent. Vielmehr: Versicherte werden in der Regel gar nicht zu ihrer Wahrnehmung der eigenen Kasse befragt. Geschieht dies doch, so zeigen sich zum einen klare Unterschiede zwischen Krankenkassen, etwa in Punkto Verständlichkeit, aktive Betreuung, Kontakthäufigkeit oder -qualität. Das belegt zum Beispiel der jährliche Kundenmonitor des Marktforschungsinstituts ServiceBarometer AG. Zum anderen wird deutlich, worauf Versicherte bei ihrer Krankenkasse tatsächlich Wert legen. Analysen wie der regelmäßige Patientenmonitor der UPD legen offen, dass sich Versicherte in komplexen Entscheidungssituationen vor allem verständliche Kommunikation auf Augenhöhe, rechtsverbindliche Aufklärung und eine individuelle Beratung wünschen.
Die SBK arbeitet seit über zehn Jahren mit Versichertenbefragungen. Die Erfahrung bestätigt, dass vermeintlich softe Themen, wie Kommunikation, Transparenz und Service in der Krankenversicherung mehr sind als bloße Hygienefaktoren. Selbstverständlich müssen Preis und Leistung stimmen. Natürlich muss der Prozess für den Versicherten unkompliziert funktionieren. 80 Prozent der Rückmeldungen der SBK-Versicherten lassen sich jedoch auf die Beziehungsebene herunterbrechen: Fühle ich mich als Versicherter mit meinem Anliegen ernst genommen? Hat mich mein Gegenüber als Mensch behandelt oder war ich nur eine Nummer? Gehe ich mit einem Gefühl der Sicherheit aus dem Gespräch? Habe ich Orientierung gewonnen, um eine gute Entscheidung für meine Gesundheit zu treffen?

Wenn wir über Qualität sprechen wollen, muss das Feedback der Versicherten zu diesen Fragen eine entscheidende Rolle spielen. Und: Wenn wir in einen Qualitätswettbewerb einsteigen möchten, müssen diese Erfahrungen der Versicherten für andere transparent und damit vergleichbar gemacht werden.

Unsere Forderung: Erfahrungen der Versicherten transparent machen

Aus Versichertenperspektive ist das WIE der (Dienst-) Leistungsgestaltung der entscheidende Faktor: Wie leistungsbereit ist meine Kasse im Ernstfall? Wie versichertenorientiert agiert sie? Wie individuell berät sie ihre Versicherten? Hier trennt sich die Spreu vom Weizen und genau hier tappt der Versicherte im Dunkeln – zumindest so lange, wie er selbst noch keine entsprechende Erfahrung mit seiner eigenen Krankenkasse gemacht hat. Ob er tatsächlich bei einer exzellenten Krankenkasse versichert ist, stellt sich für viele erst dann heraus, wenn es darauf ankommt.

Komplette Transparenz herrscht dagegen über den Preis einer Krankenkasse. Der Preis ist in der Folge der dominierende Faktor im Wettbewerb der GKV. Tatsächlich hat die Höhe des Beitragssatzes sehr viel mit der Finanzlogik des Morbi-RSA und sehr wenig mit der tatsächlichen Wirtschaftlichkeit einer Krankenkasse zu tun hat. Ein echter Anhaltspunkt für die Qualität einer Kasse ist der Beitragssatz nicht.

Daneben vergleichen Publikumsmedien in regelmäßigen Abständen Satzungsleistungen, Bonusprogramme, Kostenerstattung für Leistungen mit hoher Breitenwirkung (wie z.B. Osteopathie), Wahltarife und besondere Versorgungsverträge. Grundsätzlich ist die Transparenz an dieser Stelle zu befürworten, öffnet sich doch den Blick für weitere Wettbewerbsparameter jenseits des Preises. Allerdings: Zwischen dem vermeintlichen Anspruch auf eine Leistung und dem tatsächlichen Zugang zu einer Leistung gibt es in der Praxis oftmals beträchtliche Unterschiede. Was auch hier fehlt: Erfahrungen der Versicherten, die das tatsächliche Agieren einer Kasse offenlegen.

Die Konsequenz kann aus Sicht der SBK nur eine Transparenz-Offensive sein: Es gilt relevante Qualitätsparameter aus Versichertensicht zu definieren und zu operationalisieren. Und: Es sollten die Erfahrungen von Versicherten transparent gemacht werden. Dies gelingt idealerweise, indem die individuelle Kassenqualität anhand versichertenrelevanter Qualitätskriterien fundiert, verbraucherverständlich und niedrigschwellig durch eine neutrale Instanz zugänglich gemacht wird.

Wir empfehlen folgende konkrete Maßnahmen:

  • Laufende GKV-weite (Online-Panel-) Befragung von Versicherten zur Qualitätswahrnehmung und -erfahrung bei „ihrer“ Krankenkasse.1
  • Verbraucherfreundlich aufbereitete Online-Veröffentlichung laufend aktualisierter Ergebnisse zur Beurteilung der individuellen Qualität aller Krankenkassen
    • anhand der Ergebnisse der Versichertenbefragung,
    • auf Basis qualitätsrelevanter (amtlicher) Statistiken (z.B. Widersprüche, Sozialgerichtsverfahren),
    • unter Einbezug der Eingaben bei (quasi-) öffentlichen Institutionen, z.B. Aufsichtsbehörden, Bundes- bzw. Landesdatenschutzbeauftragte, Patientenbeauftragter der Bundesregierung, Unabhängige Patientenberatung (UPD), Bürgertelefon zur Krankenversicherung des Bundesgesundheitsministeriums, ggf. Verbraucherschutzorganisationen.

Unser Qualitätsverständnis

Die SBK ist der festen Überzeugung, dass Wettbewerb in der GKV einen echten Mehrwert für die Versicherten bedeutet. Das impliziert, dass wir Versicherte als mündige Bürger begreifen, die ein Recht auf Wahlfreiheit haben und ihre Krankenkasse nach eigenen Präferenzen frei wählen können.

Transparenz ist eine Grundvoraussetzung für Wahlfreiheit und einen funktionierenden Wettbewerb. Damit ein Versicherter eine fundierte Entscheidung für eine Krankenkasse treffen kann, braucht er Zugang zu den notwenigen Informationen. Er soll alle Parameter an der Hand haben, um eine individuelle Abwägung von Nutzen und Nachteilen vorzunehmen. Er muss wissen, was genau eine gute von einer exzellenten Krankenkasse unterscheidet.

Relevante Unterscheidungskriterien für die Qualität von Krankenkassen zu finden, ist komplex; sie mess- und vergleichbar zu machen, ist anspruchsvoll. Zentral ist, auch hier aus Versichertensicht zu agieren und keine reine Expertendiskussion zu führen. Nach unserer Erfahrung aus Versichertenbefragungen und Marktforschung lässt sich die Qualität einer Krankenkasse in vier Dimensionen unterteilen.

  1. Versorgungsgestaltung: Krankenkassen organisieren den Zugang der Versicherten zur Versorgung. Sie nutzen den engen Handlungsspielraum, um Verträge zu schließen und Angebote zu entwickeln, die den Versicherten eine hochwertige medizinische Versorgung ermöglichen. Wie schnell lässt eine Kasse ihre Versicherten an Innovation teilhaben? Achtet sie bei Ausschreibungen oder Verträgen auf Qualitätsvorgaben und Servicestandards für die Dienstleister? Welche Auswahlmöglichkeiten werden den Versicherten ermöglicht?
  2. Leistungsbereitschaft: 95 Prozent der Leistungen in der GKV sind festgelegt und damit identisch. Der Unterschied liegt in der Bereitschaft, dem Versicherten diese Leistungen auch zukommen zu lassen. Wie leistungsbereit ist eine Kasse im Ernstfall tatsächlich? Bewilligungs- und Ablehnungsquoten geben darauf eine Antwort, ebenso wie die Zahl der (erfolgreichen) Widersprüche und Sozialgerichtsverfahren. Auch Beschwerden (bei Krankenkassen oder Dritten) eignen sich als Gradmesser für Versichertenorientierung.
  3. Beratung: Die Beratung der Versicherten ist eine Kernaufgabe der Krankenkasse. Neben der Aufklärung über rechtliche Ansprüche als Versicherter und Patient, soll die Kasse ihre Versicherten dazu befähigen, auch bei komplexen Themen eine fundierte Entscheidung zu treffen – etwa bei der Auswahl eines geeigneten Leistungserbringers oder der Vermittlung einer Zweitmeinung. Ob eine Kasse dazu ein Angebot hat oder nicht, ist ein echtes Qualitätsmerkmal. Darüber hinaus spielen die Qualifikation der Mitarbeiter, sowie die Organisation von Entscheidungen in der Beratung eine Rolle.
  4. Service: Aus Versichertenperspektive ist Service mehr als ein Hygienefaktor. Die schnelle und einfache Kommunikation mit der Kasse gibt Sicherheit und Orientierung. Bearbeitungsdauer und Prozesstransparenz sind damit relevante Merkmale für Krankenkassen. Unterschiede ergeben sich künftig auch in Art und Umfang, wie Kassen digitale Lösungen für ihre Versicherten nutzbar machen und diesen z.B. Wahlfreiheit bei der Kontaktaufnahme bieten. In diesem Kontext ist auch das Zusammenspiel digital und analog von Bedeutung: Hat der Versicherte auch die Möglichkeit, in eine Geschäftsstelle zu gehen oder ein persönliches Beratungsgespräch mit einem festen Ansprechpartner zu führen?

Rückkoppelung mit den Versicherten

Die Dienstleistung einer Krankenkasse ist stark reguliert, sehr komplex und gleichzeitig häufig mit emotionalen Ausnahmesituationen verbunden. Gerade deshalb ist eine ständige Rückkoppelung mit dem Versicherten essentiell. Sie dient zum einen dazu, die Lernfelder einer Krankenkasse bei der Versorgungsgestaltung, bei Versichertenorientierung, Beratung und Service aufzuzeigen. Die Rückmeldungen legen offen, wo eine Kasse die Erwartungen der Versicherten nicht erfüllt. Wie eine Krankenkasse damit umgeht und welche Schlüsse sie daraus für sich zieht, ist Gradmesser für das Qualitätsverständnis einer Kasse. Zum anderen helfen Versicherten-Rückmeldungen dabei, das tatsächliche Agieren von Kassenkassen greifbar zu machen. Aus diesem Grund sind regelmäßige Befragung von Versicherten zur Qualitätswahrnehmung und -erfahrung bei ihrer Krankenkasse ein entscheidender Baustein im Qualitätswettbewerb in der GKV.

Unser Fazit: Mehr Qualität durch Transparenz

Aus Versichertenperspektive ist der entscheidende Unterschied zwischen den Krankenkassen nicht die Höhe des Zusatzbeitrags, sondern das WIE der (Dienst-) Leistungsgestaltung: Wie versichertenorientiert eine Kasse agiert, wie leistungsbereit sie im Ernstfall ist? Aktuell gibt es dazu für Versicherte keine Transparenz. Dabei ist Transparenz Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb in der GKV. Nur wenn Versicherte Preis und Qualität einer Krankenkasse vergleichen können, können sie ihre Wahlfreiheit in Anspruch nehmen.

Damit sich Qualität endlich zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor in der GKV entwickelt, müssen wir die Erfahrungen von Versicherten mit ihrer Krankenkasse transparent machen. Versicherten-Rückmeldungen sind der zentrale Maßstab in der Qualitätsdebatte der GKV. Nicht Experten entscheiden, ob eine Behandlung oder Beratung erfolgreich war. Entscheidend ist die Wahrnehmung des Versicherten. Das erfordert einen neuen Qualitätsbegriff in der GKV.

Damit dies gelingt, muss die individuelle Kassenqualität anhand versichertenrelevanter Qualitätskriterien verbraucherverständlich und niedrigschwellig zugänglich gemacht werden. Zentrale Dimensionen von Qualität sind aus Sicht der SBK Versorgungsgestaltung, Leistungsbereitschaft, Beratungs- und Servicequalität einer Krankenkasse. Essentiell ist dabei die ständige Rückkoppelung mit eigenen Versicherten und welche Konsequenzen eine Krankenkasse daraus für sich zieht. Weitere Kriterien gilt es nun gemeinsam zu erarbeiten.

Ziel ist es, den gegenwärtig dominierenden Preiswettbewerb durch einen echten Qualitätswettbewerb abzulösen. Dann erfüllt der Wettbewerb in der GKV seinen Zweck. Und der Versicherte kann seine Wahlfreiheit nutzen und die für ihn und seine Belange beste Krankenkasse wählen.


1 Basis: Ein auf empirischer Grundlage entwickelter Kriterienkatalog mit konsequenter Operationalisierung der Kassenqualität aus Versicherten-/Patientenperspektive (z.B. analog Arztbewertung Weisse Liste). Umsetzung der Befragung (Fragebogenentwicklung, Erhebung, Analyse, Ergebnisaufbereitung) durch eine neutrale Instanz, z.B. eine mit öffentlichen Mitteln finanzierte Stiftung (BMG, BMJ).

 

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