Digital werden, persönlich bleiben

Meinung: Bei der Digitalisierung in der GKV geht es nicht um Skaleneffekte, sondern um besseren Service für die Kund*innen (23.07.2020)

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Dr. Hans Unterhuber, Vorstandsvorsitzender der SBK

Kennen Sie das? Ihre Adresse hat sich geändert und das wollen Sie gerne Ihrer Versicherung mitteilen. App öffnen, Passwort eingeben, Daten im eigenen Profil ändern – innerhalb von 2 Minuten ist der Vorgang erledigt. Sie brauchen einen Versicherungsnachweis? App öffnen, Passwort eingeben, auf den entsprechenden Button drücken, schon ist der Nachweis auf Ihrem Smartphone. Und ihre Rechnung? Die fotografieren Sie schnell mit dem Smartphone ab und laden Sie in die App. Die Erstattung läuft von alleine. Das sind nur drei Beispiele klassischer Kundenanliegen, die die SBK in den vergangenen Jahren digitalisiert hat. Lange Wege bis zur nächsten Postfiliale, Kopien, Ablage, tagelange Wartezeiten – das alles können sich SBK-Kund*innen künftig sparen. Digitalisierung kann wirklich praktisch sein.

Natürlich nutzt nicht nur die SBK digitale Technik, um Services für Versicherte zu verbessern und interne Prozesse zu vereinfachen. Die gesamte GKV ist seit Jahren auf diesem Weg – und bekam in vergangenen Monaten durch die Corona-Krise einen gewaltigen Schub nach vorne. Einer Studie der Beratungsgesellschaft BCG zufolge haben Kund*innen von Krankenkassen während der Corona-Krise um 46% häufiger auf die App ihrer Krankenkasse zugegriffen und um 36% häufiger die Kassen-Website aufgerufen. Um nur zwei Beispiele zu nennen, wie die Krise den Weg in die Online-Welt geöffnet hat.

Digitalisierung als Antwort auf den hohen Kostendruck?

Es ist kein Geheimnis: Neben den Versicherten sparen sich auch die Krankenkassen durch die vermehrte Digitalisierung Zeit und Kosten. Seien es die automatisierte Prüfung von Rechnungen oder das elektronische Auslesen von Formularen – viele Arbeitsstunden, die mit manueller Erfassung verbracht wurden, fallen durch digitale und KI-Anwendungen künftig weg. Ein immenser Aufwand, den man sich da spart. Da mag manch ein(e) Kassenmanager*in (vielleicht auch manch ein(e) Politiker*in) schon frohlocken: Automatisierung! Skaleneffekte! Kostenersparnis! Dieser Dreiklang mag noch verheißungsvoller klingen, wenn man sich den Kostendruck vergegenwärtigt, der auf den Krankenkassen liegt: Schon vor der Corona-Krise war klar, dass die Ausgaben der GKV steigen werden. Kostentreiber sind dabei hauptsächlich gesetzliche Neuerungen wie das Pflegestärkungsgesetz und teure neue Arzneimittel und Therapien. Durch die Epidemie kommen nun zusätzliche Kosten auf die GKV zu, bei gleichzeitigem Einbruch auf der Beitragsseite, da durch massenhafte Kurzarbeit und Insolvenzen die Sozialversicherungsbeiträge wegbrechen. Da käme doch die Möglichkeit gerade recht, durch konsequente Digitalisierung und Automatisierung in der GKV Kosten einzusparen und das System zu verschlanken. Es überrascht mich daher nicht, dass genau jetzt die Rufe nach einer Einheitskasse wieder laut werden. 105 Krankenkassen haben wir immer noch in Deutschland. Wenn alle Prozesse digitalisiert wären – reichte dann nicht eine einzige Krankenkasse?

Unser Geschäft wird nie völlig digitalisiert werden – zum Glück

Als Kassenmanager kann ich bestätigen: Der Kosten- und Wettbewerbsdruck auf die Krankenkassen steigt. Digitalisierung kann da ein Lösungsweg sein. Die gezielte Automatisierung von Prozessen kann helfen, Kosten zu sparen. Wir bei der SBK bauen beispielsweise unsere Kompetenz beim Thema Künstliche Intelligenz immer weiter aus und haben mittlerweile eigene Teams, die sich mit KI und Analytik beschäftigen. Gute digitale Service-Angebote können helfen, die Erwartungen ihrer Kund*innen besser zu erfüllen als ihre Wettbewerber – durch schnellere, komfortablere Bearbeitung von Anliegen. Und dennoch ist eines völlig klar: Unser Geschäft wird nie völlig digitalisiert werden. Und das ist auch gut so.

Auch wenn dieses Bild in vielen Köpfen immer noch herumgeistert: Krankenversicherung ist keine Sachbearbeitung. Krankenkassen sind keine reinen Kostenträger, die entweder Rechnungen bezahlen oder Anträge ablehnen. Denn der „Schadensfall“ Krankheit ist höchstindividuell und hochemotional. Das Regelwerk hierzu ist das Sozialgesetzbuch – damit wird zudem alles enorm komplex. Das macht es immer wieder notwendig, einen Spagat zu machen zwischen den persönlichen Umständen und dem, was das SGB vorschreibt. Die Krankenkassen sind es, die bei gesundheitlichen Fragen, bei Krankheit, bei Vorsorge beraten und versorgen. Auf den einzelnen Versicherten und seine Bedürfnisse genau zugeschnitten. Zum Glück. Denn wer möchte schon wie eine Nummer behandelt werden, wenn er sich zum Beispiel für oder gegen eine schwere Operation entscheiden muss? Wer möchte seinen Therapieplan gerne mit einem Chatbot besprechen, wenn er gerade eine Krebsdiagnose erhalten hat? Krankenkassen erbringen eine komplexe, menschennahe Dienstleistung. Und das auch noch innerhalb eines hochkomplexen Regelwerks. Wie dick das SGB V ist, wissen Sie wahrscheinlich. Mit Blick auf die Möglichkeiten der Digitalisierung bedeutet das: Die Aufgaben von Krankenkassen können nicht so einfach automatisiert werden. Einfache, gleichförmige Sachbearbeitung ist relativ leicht digitalisierbar, komplexe und auf die persönlichen Umstände zugeschnittene Dienstleistungen nicht.

Mehr Zeit und Ressourcen für individuellen Service

Ich sehe daher drei Arten, wie Krankenkassen künftig mit ihren Versicherten interagierten werden: Viele administrativen Themen wie Adressänderungen oder die Einreichung von Formularen werden die Versicherten künftig über Self-Service-Funktionalitäten lösen können – unkompliziert, schnell, 24 Stunden am Tag, zum Beispiel per App. Wiederkehrende Standardthemen mit wenig Entscheidungsrelevanz werden Kassen maschinell organisieren, zum Beispiel die Prüfung und Begleichung der Standard-Rechnungen von Leistungserbringern. Sobald es aber um die individuellen Anliegen und persönliche Lösungen geht, werden die Krankenkassen auch in Zukunft persönlich für ihre Kund*innen da sein wollen. Darin liegen die eigentlichen Vorteile der Digitalisierung in der GKV: Kassen, die bei den ersten beiden Themen ihre Hausaufgaben erledigen, haben mehr Zeit und Ressourcen für die persönliche Begleitung ihrer Versicherten. Die sollte schon heute im Mittelpunkt stehen. Künftig werden Versicherte individuellen Service aber auch verstärkt nachfragen. 45% der Versicherten hätten sich laut BCG-Studie während des Corona-Lockdowns eine aktive Ansprache und Beratung durch ihre Krankenkasse gewünscht. Zwei Drittel wünschen sich auch künftig, bei Themen wie Krankenhauswahl, akuter Krankheit oder Vorsorge proaktiv von ihrer Kasse angesprochen und beraten zu werden. Die Kund*innen wünschen sich dabei vermehrt digitale Kontaktmöglichkeiten. Sich einfach, direkt und persönlich mit der Krankenkasse auszutauschen, muss künftig auf allen Kanälen möglich sein. 

In der gesetzlichen Krankenversicherung geht es um Menschen, um persönliche Bedürfnisse, und ja, auch um individuelle Schicksale. Eine gute Krankenkasse ist die, die unter Beachtung der komplexen Regulierung individuell auf ihre Kunden eingehen kann. Digitale Technik und Automatisierung hilft den Krankenkassen dabei, ihre Services persönlicher auf ihre Versicherten zuzuschneiden. Der Wettbewerb zwischen den Kassen wird sich künftig noch stärker daran entscheiden. Genau diese Art von Wettbewerb ist im Interesse der Kunden. Klingt besser als eine Einheitskasse, die standardisiert alle Anliegen durch die Maschine schickt, finden Sie nicht?

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