Nachhaltige Digitalisierung im Sinne der Versicherten

Hintergrund: Es knirscht gewaltig bei der zügigen Umsetzung einer digitaleren Gesundheitsversorgung. Wir bei der SBK sehen drei wichtige Handlungsfelder (03.02.2022)

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Digitalisierung hilft, Patientinnen und Patienten besser zu versorgen. Darüber sind sich inzwischen die meisten Verantwortlichen im Gesundheitswesen und in der Gesundheitspolitik einig. Dennoch knirscht es bei der zügigen Umsetzung einer digitaleren Gesundheitsversorgung noch gewaltig. Mit der Folge, dass bisher kaum spürbare Vorteile der Digitalisierung bei den Versicherten ankommen. Ein Beispiel: Trotz jahrzehntelanger Bemühungen um den digitalen Datenaustausch zwischen Leistungserbringenden und Sektoren – etwa über die Telematikinfrastruktur oder auch die ePA – tragen noch zu viele Patient*innen ihre Gesundheitsdaten unterm Arm von Praxis zu Praxis.

Für die Bundesregierung muss in der Gesundheitspolitik daher eine Priorität darauf liegen, die Rahmenbedingungen für eine Beschleunigung der Digitalisierung im Sinne der Versicherten zu schaffen. Wir sehen dazu insbesondere drei wichtige Handlungsaufträge:

1. Gesundheitsschutz und Datenschutz in Balance bringen

Keine Frage: Gesundheitsdaten sind sensibel und müssen entsprechend geschützt werden. Datenschutz darf aber auch im Gesundheitswesen nicht dazu führen, dass Nutzung und Teilen von unter Umständen lebensrettenden Daten so verkompliziert werden, dass die Vorteile für die Versicherten nicht mehr realisiert werden können. Das betrifft zum einen die viel zu komplizierten Verfahren zur Identifizierung der Nutzerinnen und Nutzer. Hier gilt es, ein einheitliches und vereinfachtes Verfahren für alle Anwendungen der Telematikinfrastruktur zu etablieren, um den Versicherten einen pragmatischen Zugang zu gewährleisten. Zum anderen geht es um die Gestaltung der Einwilligungsmöglichkeiten der Versicherten in die Dateneinsicht: Hier muss es auch die Möglichkeit einer Generaleinwilligung geben, damit die Versicherten, die ihren Behandlerinnen und Behandlern oder ihrer Krankenkasse eine umfassende Übersicht über ihre Daten in der ePA erlauben möchten, das einfach tun können. Eine lückenhafte Übersicht über Behandlungen und Diagnose in der ePA macht diese insbesondere für Ärztinnen und Ärzte nahezu wertlos. Eine Generaleinwilligung zur Dateneinsicht für bestimmte Gruppen kann diesem Problem begegnen.

2. Basis für Datenaustausch und Kooperation zwischen allen Beteiligten schaffen

Gute Versorgung braucht Zusammenarbeit. Um im Sinne der Versicherten und Patient*innen gemeinsam zu agieren, brauchen alle an der Versorgung Beteiligten zeitnahen Zugriff auf die entsprechenden Diagnosedaten – das Einverständnis der Versicherten immer vorausgesetzt. Das gilt für alle Leistungserbringenden genauso wie für die Krankenkassen, die nach SGB V §1 zur „Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz“ und zur Beratung ihrer Versicherten verpflichtet sind. Einfach umsetzen ließe sich der taggleiche Austausch von Diagnosedaten über die bereits für die eAU genutzte KIM-Schnittstelle sowie über die ePA.

3. Zusammenarbeit mit klaren Zuständigkeiten

Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens ist ein komplexes Projekt. Die digitale Infrastruktur im Gesundheitswesen kann nur gute Ergebnisse liefern, wenn die einzelnen Bestandteile sinnvoll integriert werden. Eine Änderung an der einen Stellschraube hat dann immer auch Folgen für die anderen Teile. Aber wir arbeiten nicht integriert. Wir haben keine Transparenz darüber, was der jeweils andere gerade tut. Diese mangelnde Transparenz ist auch ein Problem fehlender Zuständigkeiten. Aktuell sind diese nicht ausreichend geklärt.

So sind beispielsweise die Krankenkassen die Anbieter der ePA. Die gematik, die ursprünglich Spezifikationen festlegen und deren Einhaltung überprüfen soll, entwickelt die eRezept-App. In der Folge ist für jede Anwendung eine eigene App erforderlich. So entsteht eine zerstückelte Angebotslandschaft und die nutzerzentrierte Weiterentwicklung wird erschwert. Auch die nun auf unbestimmte Zeit verschobene Einführung des eRezepts lässt sich zumindest in Teilen mit fehlender Konsistenz der Zuständigkeit und mangelnder Spezialisierung der verschiedenen Anbieter erklären.

Mit schweren Folgen für das Nutzererlebnis und damit für die Bereitschaft der Menschen, diese digitalen Services auch anzunehmen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, fordern wir eine klare Aufgabenverteilung:

  • Der regulatorische Rahmen der TI wird durch Gesetzgeber und Bundesregierung gesetzt.
  • Die Festlegung der für die TI notwendigen Spezifikationen liegt bei der gematik. Das gilt für alle IT-Hardware- und Software-Lösungen, die zum Einsatz kommen.
  • Die Auftraggeber für die konkreten TI-Anwendungen für die Versicherten sind die Krankenkassen: Sie betreiben die ePA und gestalten die Angebote. Über eine anbieterneutrale (digitale) Schnittstelle stellen sie diese den Versicherten zur Verfügung. Dazu müssen die Kassen an die TI angebunden werden, denn nur so können sie zum Beispiel die für ihre Versicherten entwickelten Lösungen zum Einsatz bringen.
  • Die Leistungserbringenden übernehmen die Verantwortung für die Modernisierung der Praxis-Infrastruktur im Rahmen der Vorgaben der gematik.
  • Die Entwicklung der Lösungen selbst (im Auftrag der Krankenkassen und Leistungserbringenden) liegt in der Regel in den Händen von Industrieanbietern.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens läuft nach wie vor nicht zufriedenstellend. Das ist weitestgehend Konsens. Wir als SBK sind überzeugt: Mit dem Fokus auf echte Mehrwerte für die Anwenderinnen und Anwender – vor allem Versicherte, aber auch Leistungserbringende – und auf Basis klarer Rahmenbedingungen kann noch eine Erfolgsgeschichte entstehen. Dafür gilt es nun die Weichen zu stellen.

Die hier zur Verfügung gestellten Inhalte dürfen, unter Angabe der Quelle SBK Siemens-Betriebskrankenkasse, veröffentlicht werden.

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