Digitalisierung ermöglicht nutzerzentriertes Betriebliches Gesundheitsmanagement
Interview: Dr. Gertrud Demmler spricht über die Zukunft des BGM. (10.12.2020)
Die Initiative BGM 4.0 ist ein Gemeinschaftsprojekt, in dem Unternehmen, Betriebskrankenkassen, Wissenschaftler*innen und Startups an der Zukunft des betrieblichen Gesundheitsmanagements arbeiten. Das Ziel lautete: Beschäftigten und Unternehmen qualitative und nachhaltige Gesundheitsförderungsangeboten für eine flexible, vernetzte und digitale Arbeitswelt zu bieten. Erste Ergebnisse dieser einmaligen Kooperation sind zwei zukunftsweisende digitale Angebote, die die Gesundheit von Beschäftigten fördern. Die SBK hat sich als größte Betriebskrankenkasse an der Initiative beteiligt. SBK-Vorständin Dr. Gertrud Demmler erklärt, warum:
Frau Dr. Demmler, warum braucht es überhaupt neue Formen des betrieblichen Gesundheitsmanagements?
Nicht erst seit der Corona-Pandemie merken wir: Unsere Arbeitswelt wird immer flexibler und diverser. Das fängt bei flexiblen Arbeitszeiten und mobilem Arbeiten an unterschiedlichen Orten an und hört bei der zunehmenden Diversifizierung innerhalb der Arbeitnehmerschaft noch lange nicht auf. Analoge Kurse, Angebote in der Betriebskantine und feste Konzepte, die dann für die gesamte Belegschaft ausgerollt werden, werden den Bedürfnissen vieler Arbeitnehmern*innen in diesen flexiblen Arbeitswelten nicht mehr gerecht. Digitale Angebote dagegen sind ideal, um die Berufstätigen in flexiblen Umfeldern zu begleiten. Sie sind orts- und zeitunabhängig und können individuell auf unterschiedliche Bedürfnisse angepasst werden.
Ein zweiter wichtiger Entwicklungsschritt digitaler Systeme ist die Möglichkeit zum (Echtzeit-) Feedback. Dadurch fließen die Bedürfnisse und Ideen der Nutzer*innen direkt in die Weiterentwicklung der Angebote ein. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel im betrieblichen Gesundheitsmanagement von der Expertokratie hin zu nutzerzentrierten Angeboten. Nicht der Gesundheitsexperte*in sagt Dir, was Du brauchst, um am Arbeitsplatz gesund zu bleiben. Du bestimmst selbst mit, welches Angebot für Dich wann am besten passt.
Warum hat sich die SBK am Projekt BGM 4.0 beteiligt?
Betriebliche Krankenversicherung zeichnet sich durch die Nähe zu ihren Versicherten aus. Wir sitzen oft da, wo die Menschen auch arbeiten, sind in Werken oder auf Firmengelände präsent. Als größte Betriebskrankenkasse ist betriebliches Gesundheitsmanagement daher seit jeher ein Herzensthema der SBK. Entsprechend arbeiten wir schon lange daran, das Betriebliche Gesundheitsmanagement an die Anforderungen der neuen Arbeitswelt anzupassen. Der digitale Raum schafft diese Möglichkeit. Der agile Ansatz und die enge Kooperation aus Unternehmen, BKKen, Startups und Wissenschaft haben uns überzeugt, dass die im Rahmen der Initiative BGM 4.0 realisierten Projekte echten Mehrwert für die Versicherten bringen werden.
Ganz konkret: Wie profitieren Arbeitnehmer*innen von den im Rahmen der Initiative BGM 4.0 entwickelten Angeboten?
Im Rahmen der Initiative wurden nun die ersten zwei Angebote gelauncht: Zum einen eine App, die den Nutzer*in dabei unterstützt, Ziele und Maßnahmen zur Prävention von beruflichem Stress zu finden und durchzuführen. Die Arbeitnehmer*innen erhalten Anregungen für Maßnahmen und Ziele, die auf ihre persönlichen Bedürfnisse abgestimmt sind – basierend auf einem Assessment und künstlicher Intelligenz. Zum anderen eine Online-Weiterbildungsplattform zum Thema „Gesund Führen in der Arbeitswelt 4.0“. Sie basiert auf dem Konzept des Blended Learning: Führungskräfte finden auf der Plattform digitale Lerninhalte, die sie über die Buchung modularer Trainings und Coachings vertiefen können.
„Neue Arbeitswelt“ das ist so ein Buzzword. Was bedeutet das konkret für Sie?
Für mich ist der Kern der neuen Arbeitswelt die Mitgestaltung und Selbstverantwortung der Arbeitnehmer*innen. Ein Teilaspekt davon sind flexible Arbeitsorte und -zeiten. Vielmehr geht es aber um eigenständige Entscheidungen und Mitbestimmung. Das verlangt sowohl von Arbeitnehmer*innen als auch Arbeitgebern*innen eine entsprechende Haltung. Erstere sind eingeladen Verantwortung zu übernehmen, für ihren Bereich Entscheidungen zu treffen und so auch mal ein Risiko einzugehen. Letztere sind aufgerufen eine offene Kultur zu schaffen, in der Eigeninitiative gefördert wird und auch Fehler erlaubt sind.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des betrieblichen Gesundheitsmanagements und für die Digitalisierung des Gesundheitssektors allgemein?
Die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung ist im vollen Gange – das betrifft natürlich nicht nur das betriebliche Gesundheitsmanagement. Meine Forderung an die Verantwortlichen in der Politik und der Selbstverwaltung ist: Nutzen wir diese Chance der Erneuerung, um die Bedürfnisse der Versicherten in den Mittelpunkt dieses Prozesses zu stellen.
Das heißt für mich zum einen: Bereits in der Entwicklung digitaler Gesundheitsangebote müssen die zukünftigen Nutzer dieser Angebote konsequent mit eingebunden werden. Die Krankenkassen, die durch zahlreiche Digitalgesetze neue Aufgaben in Beratung und Begleitung ihrer Versicherten erhalten haben, können dabei eine wichtige Rolle spielen und damit die Zusammenarbeit mit den Gesundheitsberufen zum Wohl der Versicherten und Patienten*innen weiterentwickeln. Die Versicherten zu begleiten, entspricht in besonderem Maße dem Selbstverständnis der Betriebskrankenkassen.
Zum anderen eröffnet die Digitalisierung die Chance, die unterschiedlichen Akteure im Gesundheitssystem zu vernetzen und so endlich mehr Qualitätstransparenz im oft undurchsichtigen Versorgungsgeschehen herzustellen. Das Ziel, künstliche Sektorengrenzen aufzubrechen und an deren Stelle konsequent auf die vernetzte Zusammenarbeit der Akteure zu setzen – orientiert an den Bedürfnissen der Versicherten – muss im Fokus des weiteren Ausbaus der Digitalisierung des Gesundheitssystems insgesamt stehen.
Die hier zur Verfügung gestellten Inhalte dürfen, unter Angabe der Quelle SBK Siemens-Betriebskrankenkasse, veröffentlicht werden.
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