Einfach erklärt: Wie ICD-Kodierungen Zuweisungen beeinflussen und welche Rolle Verträge dabei spielen

Hintergrund: Am 18.12. geht das GKV-FKG in die nächste Runde. Es findet eine Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages statt. Sachverständige werden zu den einzelnen Diskussionspunkten befragt. (16.12.2019)

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Was sind ICD?

ICD steht für „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Das Klassifizierungsmodell für medizinische Diagnosen wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben. In Deutschland gilt für Kodierung im ambulanten und stationären Bereich eine modifizierte Version.

Die Codes sind immer gleich aufgebaut. Die erste Stelle ist ein Buchstabe, gefolgt von zwei bis vier Zahlen. Die Buchstaben geben eine erste Information. So sind die so genannten F-Diagnosen psychische Erkrankungen. Nimmt man die ersten drei Stellen, so erhält man bereits genauere Informationen. F45 beispielsweise steht für eine somatoforme Störung, ausführlicher ist die Angabe mit vier Stellen (F45.4 ist eine Anhaltende Schmerzstörung), gelegentlich gibt es fünfstellige Verfeinerungen (F45.41 für eine Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren).

Was für eine Auswirkung haben die ICD auf Zuweisungen für die Kassen?

Für jeden Versicherten erhält die Krankenkasse eine pauschale Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds. Grundlage dafür sind Alter und Geschlecht des Versicherten. Darüber hinaus wird im Finanzausgleich die Morbidität besonders berücksichtigt: Aktuell bekommt eine Kasse für 50 bis 80 kostenintensive, chronische Krankheiten mit schwerwiegendem Verlauf besondere Zuschläge, also zusätzliches Geld aus dem Fonds. Mit der im GKV-FKG geplanten Einführung des Vollmodells fließt dann das gesamte Krankheitsspektrum in den Morbi-RSA ein. Das bedeutet: Künftig löst jede Krankheit, die vom Arzt mit einem entsprechenden ICD kodiert wird, eine festgelegte Zuweisung bei der Kasse aus. Dabei ist die Höhe der Zuweisung von der Kodierung abhängig.

Nehmen wir das Beispiel einer Rezidivierenden depressiven Störung (F33) – die zusätzliche Zuweisung für einen Versicherten mit der Diagnose F33.2 (Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome) beträgt in 2019 2.653,18 Euro, für einen Versicherten mit der Diagnose F33.0 910,78 Euro. Der Betrag ändert sich mit der vierten Stelle der ICD.

 

Wie können Kassen und Ärzte nun über Verträge die Zuweisungen steuern?

Bleiben wir bei der Depression. Eine Kasse kann mit Ärzten einen Vertrag abschließen, um die Behandlung ihrer Versicherten mit dieser Diagnose zu verbessern. Über die Diagnosen lässt sich einschränken, welche Versicherten genau profitieren sollen. An sich sinnvoll – zum Problem wird es nur, wenn in den Verträgen nur die Diagnosen berücksichtigt werden, die hohe Zuweisungen auslösen. So in dem Beispiel unten: Es existierte tatsächlich ein Vertrag, in dem alle in der Tabelle fett gekennzeichneten Diagnosen berücksichtigt sind, alle anderen nicht.

Wie kann es anders gehen?

Ein Blick in die Verträge, die aktuell im deutschen Gesundheitswesen gelten, zeigt: Es geht auch ohne die detaillierten ICD-Listen. Ein Vertrag wäre beispielsweise genauso sinnvoll gewesen, wenn dort nur die dreistellige ICD – im Beispielfall also F32 und F33 – angegeben gewesen wäre. Die Versorgung der Versicherten wäre im gleichen Umfang möglich gewesen und der Zusammenhang zwischen Vertrag, Kodierung und Zuweisung wäre nicht mehr in dem Maße gegeben.

Das gilt für die Selektivverträge zwischen Ärzten und Einzelkassen genauso wie für die Regelversorgung, das heißt die Kollektivverträge, die für alle gesetzlich Versicherten gelten. Gute Beispiele aus der letzteren Kategorie sind der Dialyse-Vertrag (Anlage 9 zum Bundesmantelvertrag Ärzte) und die Sozialpsychiatrie-Vereinbarung1 (Anlage 11 zum Bundesmantelvertrag Ärzte), die einen klaren Versorgungsauftrag geben, ohne dazu ICD 10-Diagnosen zu benennen.

Und auch wenn wir die Verquickung von Kodierung und Vergütung ablehnen: Die Qualität der Kodierung bleibt natürlich ein wichtiges Thema. Die kodierten Diagnosen muss die Krankheitslage in Deutschland realistisch widerspiegeln. Aber das kann nur für alle Kassen gleichermaßen über Unterstützungssysteme in der Praxissoftware gelöst werden und nicht über Einzelverträge, die zu einem kassenbezogenen Kodierwettbewerb führen.

                                           
1Die Vereinbarung dient der Förderung einer qualifizierten interdisziplinären sozialpsychiatrischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.

 

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