Weiterhin hoher Beratungsbedarf und mangelnde Transparenz beim Thema Hilfsmittel
Hintergrund: Unsere Expertin Jana Homey spricht über ihre Learning aus dem ersten Versicherten-Workshop zum Thema Hilfsmittel (14.05.2019)
Die Hilfsmittelversorgung ist ein sensibles Thema: Versicherte sind auf eine schnelle Versorgung angewiesen, da ihnen das Hilfsmittel den normalen Alltag ermöglicht bzw. erleichtert. Gleichzeitig ist die Auswahl des individuell passenden Hilfsmittels für viele Versicherte eine Herausforderung – das Angebot ist groß, die Übersicht oft schlecht. Jana Homey ist bei der SBK verantwortlich für Hilfsmittelversorgung. Sie hat im April 2019 einen ersten Patienten-Workshop organisiert und mit SBK-Versicherten im Hilfsmittel-Bezug darüber gesprochen, wie sie die Versorgung erleben und wo sie sich mehr Unterstützung wünschen.
Welche drei zentralen Erkenntnisse haben Sie bei ihrem Patienten-Workshop zum Thema Hilfsmittel mitgenommen?
Wir sind sehr offen in den Workshop gegangen und wollten zunächst nur verstehen, welche konkreten Erwartungen Versicherte an die SBK haben, wenn sie ein Hilfsmittel benötigen. Wann kommt die SBK konkret ins Spiel? Welche Beratung wünschen sich Patienten? Wo fühlen sie sich unsicher? Wir haben in den Gesprächen viel gelernt. So sind am Hilfsmittel-Prozess viele Fachleute beteiligt – Arzt oder Klinik, Sanitätshaus oder Apotheke und Krankenkasse. Trotzdem fühlen sich Patienten teilweise allein gelassen und wünschen sich bessere Beratung. Für uns ernüchternd: Selbst, wenn die Informationen von Arzt oder Sanitätshaus für sie nicht zufriedenstellend waren, kamen viele Betroffene nicht auf die Idee, sich Unterstützung bei der SBK zu holen. Unser erstes Learning war also, dass wir unsere speziell ausgebildeten Hilfsmittel-Berater frühzeitig anbieten sollten.
Das hängt eng mit unserem zweiten Learning zusammen: Kontakt zur Kasse gibt es in der Regel meist erst dann, wenn etwas nicht gut klappt – wenn zum Beispiel die Versorgung zu lange dauert, wenn das Hilfsmittel nicht den Erwartungen entspricht oder die Betroffenen mit dem Dienstleister nicht zufrieden sind. Das zeichnet sich auch in unseren internen Beschwerden ab: Neben der Bearbeitungsdauer ist der Hauptgrund für Beschwerden ein Problem mit dem Hilfsmittel-Lieferanten.
Unser drittes Learning betrifft das Krankenhaus-Entlassmanagement: Idealerweise werden Patienten bereits mit einer Hilfsmittel-Verordnung entlassen, sodass keine Versorgungslücke entsteht. In der Praxis wird dies nicht durchgängig gelebt. Da müssen Patienten schon mal eine Woche auf einen Rollstuhl warten, weil sie für die notwendige Verordnung erst einmal ihren niedergelassenen Arzt aufsuchen müssen.
Im Rahmen des Entlassmanagements ist geregelt, dass Krankenhausärzte Hilfsmittel für einen Übergangszeitraum von bis zu sieben Tagen verordnen können. Wie war das Bild in ihrem Workshop bzw. wie sind ihre Erfahrungen?
Im Patienten-Workshop waren vier Teilnehmer anwesend, die stationär behandelt worden sind. Sie alle hatten keine Übergangsverordnung erhalten. Unsere eigene Erfahrung zeigt ein ähnliches Bild. Obwohl seit Winter 2017 jeder Versicherte Anspruch auf ein Entlassmanagement hat – inklusive der Prüfung erforderlicher Hilfsmittel – funktioniert der Prozess in der Praxis nicht gut. Versicherten werden ohne Verordnung bzw. die nötigen Hilfsmittel aus der Klinik entlassen.
Das Ergebnis ist für Patienten teilweise untragbar, zum Beispiel nach einer Hüft-Operation. Der frisch operierte, nicht gerade mobile Patient muss nach Hause, dann zum Hausarzt, danach zum Sanitätshaus. Dort wird das Hilfsmittel, in diesem Fall ein Rollator, beantragt und kann dem Patienten erst nach erfolgreicher Genehmigung durch die Krankenkasse zu Verfügung gestellt werden. Er muss also noch einmal hin, um den Rollator abzuholen. Die komplette Versorgung nach der Entlassung kann im schlechtesten Fall bis zu einer Woche dauern. Das müsste nicht sein.
Bei Thema Rollator haben wir als SBK gehandelt und das Genehmigungsverfahren abgekürzt. Das Sanitätshaus kann den Rollator nun sofort abgeben, ohne weitere Antragsschleife. Eine weitere Chance, den Prozess zu beschleunigen und auch zu verbessern, ist aus meiner Sicht das e-Rezept. Das Rezept wird vom Arzt oder der Klinik hochgeladen. Der Patient bekommt sofort alle wichtige Informationen angezeigt. Und auch wir als Kasse können – sofern der Patient das erlaubt – das Rezept einsehen und proaktiv zu Produkten beraten und im weiteren Prozess begleiten.
Sie sagen: Patienten fühlen sich im Prozess teilweise allein gelassen. Was war ihr genereller Eindruck: Wo fehlt es an Transparenz für die Patienten? Was hat sich mit dem HHVG verbessert?
Mein Eindruck, insbesondere auch nach unserem Patienten-Workshop: Es fehlt an Transparenz über die Produkte allgemein. Welche Hilfsmittel gibt es, welches passt genau zu meinem Bedarf? Der Hilfsmittel-Markt ist sehr komplex – nicht umsonst haben wir spezielle Berater für das Thema. Wie soll sich da ein Patient zurechtfinden? An der Stelle sollten wir gemeinsam mit alle Beteiligten Beratungsprozesse überdenken und Patienten besser befähigen, gute Entscheidungen selbst zu treffen.
Zum anderen fehlt es aus meiner Sicht an Transparenz über Angebote ohne wirtschaftliche Aufzahlung. Versicherte müssen zuerst über aufzahlungsfreie Hilfsmittel aufgeklärt werden, bevor höherpreisige Alternativen angeboten werden dürfen. Hier sollte es laut HHVG eine Übersicht geben, wie oft Versicherte tatsächlich eine Aufzahlung geleistet haben, weil sie sich für ein kostenintensiveres Hilfsmittel außerhalb der Regelversorgung entschieden haben. Interessant wären auch die Gründe für die Aufzahlung: Das hängt nach meiner Erfahrung nicht primär mit den Vertragspreisen zusammen, die Kassen und Leistungserbringer für Hilfsmittel aushandeln. Unsere Verträge sind zum Beispiel so gestaltet, dass immer eine hochwertige Versorgung ohne Aufzahlung möglich ist. Unsere Erfahrung zeigt aber auch: Gerade bei Rollatoren sind Versicherte oft bereit, freiwillig aufzuzahlen, weil sie sich mehr Komfort wünschen. Leider mangelt es hier an konsequenter Dokumentation der Aufzahlung, so dass sich darüber noch keine klare Aussage treffen lässt. Das Thema steckt noch in den Kinderschuhen.
Der Workshop war Teil einer Initiative der SBK, Prozesse und Dienstleistungen stets gemeinsam mit Versicherten zu entwickeln. In unregelmäßigen Abständen finden deshalb seit mehreren Monaten Customer Journey Workshops mit Versichertengruppen statt, so zum Beispiel mit pflegenden Angehörigen, Versicherten im Widerspruchsverfahren oder mit Hilfsmittel-Bedarf.
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