„Arbeitet zusammen, nicht gegeneinander“
Meinung: Dr. Hans Unterhuber, Vorstandsvorsitzender der Siemens-Betriebskrankenkasse SBK, fordert weniger Streit und mehr konstruktive Zusammenarbeit bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens (08.11.2021)
Für mich ist und bleibt Digitalisierung die zentrale Baustelle, aber auch die größte Chance im Gesundheitswesen. Sie fördert Transparenz, erleichtert Zusammenarbeit, sie bietet unglaubliche Chancen für die Forschung und macht den Versicherten zu einem mündigen Versicherten, der Herr über seine Daten ist. Wir müssen in dieser Frage endlich substanziell vorwärtskommen.
Bei diesem Vorwärtskommen müssen wir uns immer wieder eine Frage stellen: Für wen machen wir das eigentlich? Wir machen es doch für den Versicherten! Und deshalb müssen wir ihn auch konsequent fragen, was er braucht und was bei ihm wirklich ankommt.
Aktuell ist es leider immer noch so, dass ganz oft am Versichertenbedürfnis vorbeientwickelt wird. Experten bestimmen darüber, was gemacht werden soll und was nicht. Im besten Fall. Im schlimmsten Fall bestimmen sie es nicht, sondern streiten darüber. Dabei geht es in diesen Streiten nicht darum, was für die Versicherten das Beste ist, sondern was die einzelnen beteiligten Parteien für das Richtige halten.
Bei der ePA werden Chancen verspielt
Ein sehr prägnantes Beispiel ist die elektronische Patientenakte (ePA). Sie bietet gleich an mehreren Punkten Streitpotenzial. Ein Punkt: Bieten wir die ePA als Opt-out-Modell an, das heißt, jeder Versicherte in Deutschland bekommt automatisch von Geburt an eine ePA? Oder bieten wir sie als Opt-in-Modell an, die jeder Einzelne erst beantragen muss? Wir haben die Menschen gefragt: Sagenhafte 79 Prozent der Befragten plädieren für das Opt-out-Modell. Zahlreiche andere Länder innerhalb Europas setzen auch darauf. Und was machen wir? Organisieren ein wahnsinnig kompliziertes Antragsmodell, das die ePA zur Totgeburt macht.
Ein anderer Punkt in der Debatte um die ePA ist das feingranulare Berechtigungsmanagement. Dabei geht es darum, wie mit den einzelnen Dokumenten, die die ePA einmal befüllen sollen, umgegangen wird. Die Fragen: Wer darf welche Dokumente sehen, wer darf Berechtigungen erteilen, wer darf was einstellen?
Ohne jetzt diese Fragen beantworten zu wollen – wir sollten auf die Versicherten zugehen und fragen, was sie wirklich wollen. Ich bin sicher, sie möchten nicht in einem Wust aus Regelungen untergehen, bei dem keiner mehr durchblickt. Sie möchten alltagstaugliche Lösungen, die ihnen ihr Leben erleichtern und nicht alles noch komplizierter machen.
All dieser öffentlich ausgetragene Streit, gekoppelt mit der fehlenden Nutzerzentrierung, hat zur Folge, dass dieses wichtige Instrument für mehr Transparenz und integrierte Versorgung in seinem Ansehen beschädigt wird. Dauerhaft und zum Schaden des Versicherten.
Denn das ist ja das Problem: Es ist ja nicht nur so, dass es schade um Geld und Mühen ist, wenn die digitalen Services ein Flop werden. Nein, Digitalisierung, Transparenz und das sinnvolle Nutzen von Daten können Leben retten. Wie viele Menschen sterben jährlich an Wechselwirkungen bei der Medikamenteneinnahme? Welche Krankheiten könnten besser behandelt und vielleicht sogar geheilt werden, wenn Forschungsdaten zur Verfügung stehen würden?
Wir brauchen konstruktive Zusammenarbeit statt Kompetenzgerangel
Warum also vergeben wir diese Chance für ein besseres Gesundheitswesen? Weil wir keine klaren Zuständigkeiten festgelegt haben. Jeder sucht sich aktuell sein Betätigungsfeld selbst – überspitzt gesagt. Jeder versucht seine Position durchzuboxen: mal indem er die anderen beteiligten Akteure einfach vor vollendete Tatsachen stellt und hofft, dass es schon gut geht. Mal indem er in eine Verweigerungshaltung geht und so an sich gute Projekte zum Scheitern verurteilt.
Dabei ist es doch so: Durch einen Stopp lernt man nicht, man lernt durch den Betrieb. Wir müssen konsequent weitermachen – aber auch die Größe besitzen, Fehler zuzugeben. Wir müssen Dinge ausprobieren, Versichertenfeedback einholen und sie dann verbessern. Immer wieder und wieder in einer konstruktiven Zusammenarbeit. Dann wird auch die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens ein Erfolg.
Durch einen Stopp lernt man nicht, man lernt durch den Betrieb.
Die SBK setzt bereits seit 2009 mit ihrer Online-Geschäftsstelle MeineSBK auf konsequente Versichertenorientierung bei der Digitalisierung. Das Angebot wird regelmäßig im Rahmen einer Versicherten-Community evaluiert. Das Feedback aus der Gruppe der Tester fließt in die Weiterentwicklung von Desktop-Version und App mit ein. Die Nutzerzahlen zeigen den Erfolg: Fast 517.000 Versicherte nutzen den Service bereits - Tendenz steigend.
Was die Erfolgsfaktoren für die Digitalisierung im Gesundheitswesen sind und was sich aus seiner Sicht ändern muss, hat Dr. Unterhuber in den Perspektiven live, einer virtuellen Diskussionsrunde, am 05.11.2021 vorgestellt. In diesem Rahmen hat er auch die Ergebnisse einer Umfrage zur ePA vorgestellt.
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