Bessere Versorgung durch mehr Diversität
Hintergrund: Gesellschaftliche Vielfalt in der gesundheitlichen Versorgung abbilden (21.03.2022)
Als Krankenkasse sind wir verpflichtet, „geschlechts- und altersspezifischen Besonderheiten Rechnung zu tragen“ (SGB V, §2b). Dieser Forderung können wir allerdings nicht voll umfänglich gerecht werden, da in unserem Gesundheitssystem bestimmte Gruppen nach wie vor benachteiligt werden. Nicht nur Geschlecht und Alter spielen hierbei eine Rolle, sondern auch Aspekte wie die soziale Herkunft oder die persönliche Lebenssituation. Dass sich Erkrankungen von Person zu Person unterschiedlich äußern oder einer unterschiedlichen Behandlung bedürfen, wird zu wenig beachtet. Diese unfaire Gleichbehandlung führt systemisch zu einer schlechten Qualität in der Gesundheitsversorgung. Damit wir bessere Lösungen für alle entwickeln und passende Zugangswege schaffen können, bedarf unser Gesundheitssystem einer grundlegenden Neuausrichtung. Welche Unterschiede wir machen müssen und wie uns die Transformation des Systems gelingt, stellen wir in diesem Impuls dar.
Hochwertige und passende Versorgung für jede*n scheitert momentan häufig daran, dass individuelle Unterschiede und Bedürfnisse nicht (genug) berücksichtigt werden. Mangelnde Diversität in der medizinischen Versorgung hat viele Gesichter: Frauen und Kinder werden in der Forschung nur selten explizit beachtet; auch die Datenstandards in der Versorgungsforschung stellen bis heute nicht sicher, dass die Erkenntnisse von Datenbias und Datennutzung systematisch vermieden werden.
Proband*innen in Studien müssen darüber hinaus die Bandbreite der Patient*innen abdecken. Außerdem sollte bereits bei der Verteilung von Forschungsgeldern mehr Aufmerksamkeit darauf liegen, dass das Studiendesign die Vielfalt der Gesellschaft berücksichtigt. Ein Beispiel sind sogenannte „Frauenleiden“ wie die Menopause oder Endometriose, die in der Forschung und im medizinischen Alltag vor allem in Relation zu ihrer Verbreitung viel zu wenig Beachtung finden.
Nach wie vor führen fehlende Vergütungsregelungen für die ärztliche Behandlung dazu, dass Menschen schlechter behandelt werden. Ein Beispiel sind Männer mit Brustkrebs. Sie können sich in einigen Bundesländern nicht beim Frauenarzt oder der Frauenärztin behandeln lassen, da diese Facharztgruppe für die Behandlung von Männern nicht vergütet wird Sie sind aber die Spezialist*in für die Erkrankung und eine Behandlung dort brächte die besten Genesungschancen mit sich.
Studien zeigen klar, dass Menschen Informationen unterschiedlich wahrnehmen und verarbeiten. Während viele Akteure im Gesundheitswesen Informationen bereitstellen und beispielsweise für Prävention werben, werden lange nicht alle Personen dadurch erreicht. Aufklärungskampagnen müssen deutlich vielfältiger gestaltet werden. Kommt eine Sprachbarriere hinzu, wird es für Menschen erst recht schwierig, Gesundheitsinformationen zu verstehen und entsprechend umzusetzen. Hier sehen wir Institutionen wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in der Pflicht, die aber auch durch Krankenkassen unterstützt werden könnten.
Beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), beispielsweise bei Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGa), ist wichtig, dass die zugrundeliegenden Daten möglichst alle Betroffenen abbilden. Eine KI kann nur so gut sein wie die Daten, auf denen sie beruht. Sind die Daten in eine Richtung einseitig, zieht die App unter Umständen falsche Schlüsse für das beste Therapieangebot. So ist beispielsweise bekannt, dass in vielen medizinischen Datensätzen Männer dominieren. Wenn also Symptomchecker-Apps lediglich Symptome abfragen, jedoch nicht beachten, bei wem diese auftreten, kann das zu Problemen führen. Hier sei nur der Klassiker Schlaganfall genannt, der sich bei verschiedenen Geschlechtern in ganz unterschiedlicher Symptomatik äußert.
Die Basis für eine Neugestaltung des Gesundheitswesens ist aus unserer Sicht die Veränderung der zugrundeliegenden Denkweisen: Um zu gewährleisten, dass an Menschen in all ihren Facetten gedacht wird, braucht es divers besetzte Gremien. In Entscheidungsgremien wie dem G-BA beginnt bereits ein Umdenken, aber auch Beratungsgremien müssen diverser werden. Neben einer „Frauenquote“ gehören dazu viele weitere Aspekte, wie die soziale Herkunft der Mitglieder oder die Altersstruktur eines Gremiums.
Wenn unterschiedliche Perspektiven in Gremien mehr Gehör erhalten, ist das ein guter Anfang. Darüber hinaus müssen unterschiedliche Sichtweisen aber auch bei Entwicklungsprozessen einbezogen werden. Das E-Rezept ist ein gutes Beispiel dafür, dass nicht alle relevanten Akteure in Lösungsfindungen einbezogen wurden, weswegen das Projekt bis heute nicht erfolgreich umgesetzt werden kann.
Krankenkassen stehen als Versichertenbegleiterin an der Seite der Patient*innen und können sie hinsichtlich individuell passender Angebote beraten und Informationen zur Verfügung zu stellen. Was wir dazu benötigen: Mehr Freiheiten bei der Auswahl der Angebote und mehr Chancen, Versorgungsangebote über Verträge und Pilotprojekte zu gestalten. Darüber hinaus brauchen wir nicht zuletzt die Möglichkeit, die uns vorliegenden Versichertendaten viel stärker im Sinne der Versicherten zu nutzen, unter anderem um Fehlversorgung zu erkennen. Versicherte könnten dann bei fehlender fachärztlicher Behandlung aktiv angesprochen werden. Auch wenn verschiedene Ärzt*innen Medikamente mit Kontraindikationen verschreiben, sollten Krankenkassen zum Schutz der Versicherten eingreifen dürfen. Um Benachteiligungen aus dem Weg zu räumen, müssen wir als Krankenkasse die gesamte Patient Journey begleiten dürfen. Dazu gehören unter anderem gemeinsame Fallkonferenzen mit den behandelnden Ärzt*innen. Auch hier garantiert die Vielfalt der Krankenkassen den Einsatz für die beste Patient*innenbegleitung.
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