Finanzierung der GKV muss auf solide Basis gestellt werden
Meinung: Christian Keutel, Finanzexperte bei der SBK, ist gespannt, welche Lösungen die neue Bundesregierung in Sachen Kassenfinanzen vorschlägt (21.12.2021)
Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben, die neue Regierung steht, Karl Lauterbach ist Gesundheitsminister. Dringlichste seiner Aufgaben ist jetzt sicherlich die Bekämpfung der Corona-Pandemie – doch es ist nicht die einzige. Lauterbach selbst hat bei der Bekanntgabe seiner Nominierung davon gesprochen, dass er das Gesundheitssystem „robuster“ machen möchte. Auch, aber nicht nur, um auf neue Pandemien besser vorbereitet zu sein.
Nach der Reform ist vor der Reform
Wie er die Finanzierung „robuster“ gestalten möchte, das ist jedoch noch nicht klar. Der Abschnitt rund um die Kassenfinanzen im Koalitionsvertrag ist kurzgehalten. Höhere Beiträge für Arbeitslosengeld-II-Empfänger aus Steuermitteln und Begrenzung des Arzneimittelpreises durch eine Weiterentwicklung des AMNOG – diese Maßnahmen werden konkret genannt. Aber dass sie nicht reichen werden, das ist sicher. Nach der großen Reform der Kassenfinanzen im Rahmen des GKV-FKG (Faire-Kassenwettberb-Gesetz, 2019) stehen nun neue Weiterentwicklungsschritte an.
Auszug aus dem Koalitionsvertrag: Gesundheitsfinanzierung
Wir bekennen uns zu einer stabilen und verlässlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Den Bundeszuschuss zur GKV dynamisieren wir regelhaft. Wir finanzieren höhere Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln. Wir behalten das bestehende Preismoratorium bei. Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) entwickeln wir weiter. Wir stärken die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittelpreise. Der verhandelte Erstattungspreis gilt ab dem siebten Monat nach Markteintritt.
Ampel-Koalitionsvertrag, S. 87
Podcast: Perspektiven auf die Kassenfinanzen
In „Perspektiven auf …“, dem gesundheitspolitischen Podcast der SBK spricht Christian Keutel mit einem Kollegen der AOK-Baden-Württemberg über die Kassenfinanzen. Sebastian Kuhn ist Themenmanager Risikostrukturausgleich und hat damit ebenso wie der SBK-Experte einen Blick für die Probleme der Kassenfinanzierung. Und auch wenn die Beiden natürlich nicht immer einer Meinung sind – ein paar Ideen, was nötig ist, um die Kassenfinanzen auf eine solide Basis zu stellen, haben sie. Diese verraten sie am Ende des Podcasts.
Die beiden Gesprächspartner
Christian Keutel ist – wie man so schön sagt – ein SoFa. Sein Werdegang begann mit einer Ausbildung als Sozialversicherungsfachangestellter und Gesundheitsökonom. Seit 2018 ist er Fachbereichsleiter Risikostrukturausgleich und Haushaltsplanung bei der SBK. Damit hat er das vollste Mitgefühl von AOK-Kollegen Kuhn: Denn er muss sich nicht nur mit den Untiefen der Morbi-RSA-Analyse auseinandersetzen, sondern auch noch den Finanzhaushalt der SBK im Griff haben.
Sebastian Kuhn ist Podcast-Junkie. Der studierte Politikwissenschaftler und Soziologe bezeichnet sich selbst als „Sozialwissenschaftler mit einem Fable für Daten, quantitative Methoden & Statistik, Gesundheitspolitik, progressive Musik, selbst gemachtes Essen und den FC St. Pauli.“ Er ist bei der AOK Baden-Württemberg im Geschäftsbereich RSA, Analytik & Datenmanagement tätig und kennt sich als Themenmanager RSA gut aus mit Begriffen wie Morbi-RSA, R2 & Co.
Auch das Thema Manipulation ist noch nicht vom Tisch
Bei der letzten großen Reform der Kassenfinanzen wurde die so genannte Manipulationsbremse beschlossen. Sie sollte verhindern, dass einzelne Krankenkassen mehr Gelder aus dem Gesundheitsfonds bekommen – zum Beispiel, indem sie Ärzte für die Behandlung bestimmter, für sie lukrativer Diagnosen, besser vergüten. Die Aufsichtsbehörde der bundesunmittelbaren Krankenkassen, das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS), hat im Rahmen dieser Manipulationsbremse die Kassenfinanzen überprüft. In den letzten Wochen wurden die ersten Ergebnisse veröffentlicht. Christian Keutel hat Vorschläge, wie die Manipulationsbremse weiterentwickelt werden kann:
Festschreibung ambulanter Kodierrichtlinien für alle
Einführung von Sanktionen
Überprüfung durch das BAS
Wie funktioniert das eigentlich mit den Manipulationen?
Für jeden Versicherten erhält die Krankenkasse eine pauschale Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds. Grundlage dafür sind Alter und Geschlecht des Versicherten. Darüber hinaus wird im Finanzausgleich die Morbidität besonders berücksichtigt: Eine Kasse erhält für die diagnostizierten Krankheiten eines Versicherten besondere Zuschläge, also zusätzliches Geld aus dem Fonds. Jede Krankheit, die vom Arzt mit einem entsprechenden ICD kodiert wird, löst eine festgelegte Zuweisung bei der Kasse aus. Dabei ist die Höhe der Zuweisung von der Kodierung abhängig. ICD steht dabei für „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Das Klassifizierungsmodell für medizinische Diagnosen wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben. In Deutschland gilt für Kodierung im ambulanten und stationären Bereich eine modifizierte Version. Doch wie können nun Kassen und Ärzte über Verträge die Zuweisungen steuern? Eine Kasse kann mit Ärzten einen Vertrag abschließen, um die Behandlung ihrer Versicherten mit einer bestimmten Diagnose zu verbessern. An sich sinnvoll – zum Problem wird es nur, wenn in den Verträgen die Diagnosen besonders berücksichtigt werden, die hohe Zuweisungen auslösen.
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