Integrierte Versorgung braucht Transparenz für alle

Interview: Christina Bernards, Fachexpertin für Präventions- und Versorgungsangebote bei der SBK, berichtet über die ersten Erfahrungen mit den DiGA. (23.02.2021)

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Christina Bernards ist bei der SBK für alle Prozesse rund um die DiGA zuständig.

Aktuelle Daten schaffen mehr Transparenz

SBK fordert taggleiche Datenübermittlung

Informierte Abstimmungen und Entscheidungen im Gesundheitswesen können nur erfolgen, wenn alle Beteiligten den gleichen Wissensstand haben. Diese Transparenz zu schaffen ist wichtig. Die TI und ihre Anwendungen schaffen die Möglichkeiten dazu. Für eine taggleiche Übermittlung von Diagnosedaten ließe sich beispielsweise ganz unkompliziert der KIM-Dienst nutzen. 

KIM steht für "Kommunikation im Medizinwesen". Über diesen Dienst soll zukünftig die gesamte elektronische Kommunikation im Gesundheitswesen laufen. Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken, Krankenkassen und alle anderen Einrichtungen werden dort angeschlossen sein. Eine erste Anwendung, die zwischen Arztpraxen und Kassen realisiert wird, ist die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU).

Am 14. Januar war es soweit – 100 Tage zuvor hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die ersten DiGA in ihr DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Traditionell wird nach diesem Zeitraum von den bisherigen Erfahrungen berichtet und ein erstes Fazit gezogen. Das haben wir zum Anlass genommen, mit SBK-Kollegin Christina Bernards zu sprechen, die bei uns für die Einführung und Weiterentwicklung der digitalen Versorgungsangebote zuständig ist.

Christina Bernards, wie läuft es bisher mit den DiGA?

Grundsätzlich gut. Wir haben keinen großen Ansturm erwartet, waren aber vorbereitet. Der Prozess zur Inanspruchnahme stand mit Listung der ersten DiGA im BfArM-Verzeichnis und unsere Versicherten haben uns fast ausschließlich positive Rückmeldung gegeben. Inzwischen haben wir über 100 Codes für die Inanspruchnahme einer DiGA ausgegeben. Das ist – im Vergleich mit anderen Kassen – eine relativ hohe Quote.

Gibt es auch Punkte, bei denen Sie noch Verbesserungsbedarf sehen?

Ich sehe da vor allem zwei Punkte. Erstens: Wir müssen Klarheit bekommen, was die Preise für die DiGA angeht. Beim Thema Höchstpreise gibt es ja nun eine Tendenz durch die Äußerungen der Schiedsstelle. Hier müssen wir abwarten, was die Verhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und den Herstellerverbänden ergeben. Aus unserer Sicht löst das den Kern des Problems aber nicht ganz.

Denn: Wir würden die Preisdiskussion gerne im Zusammenspiel mit dem Nutzen führen. Aktuell ist der Großteil der gelisteten DiGA nur vorläufig ins Verzeichnis aufgenommen, das heißt ihr Nutzen ist nicht bewiesen. Es ist ein Novum, dass wir Kassen in einem Regelprozess für eine Leistung zahlen, bei der die Evidenz nicht erwiesen ist. Das Fast-Track-Verfahren ist einerseits eine gute Sache – anderseits aber nutzen die Patient*innen dann vielleicht ein Angebot, was ihnen nicht hilft oder vielleicht sogar nicht guttut. Ein digitales Angebot der Krankenkasse braucht einen schlagenden Nutzwert sowie hundertprozentige Funktionsfähigkeit. Die Versicherten dürfen kein Beta-Tester sein!

Zweitens kommt hinzu: Es ließe sich mit den digitalen Anwendungen das erste Mal ein Nachweis erbringen, dass die Patient*innen die digitale Therapie auch tatsächlich nutzen und die beständige Nutzung Einfluss auf den Gesundheitszustand hat. Seit Jahren diskutieren wir über Compliance und Therapietreue und wie sich diese unterstützen lässt. Hier haben wir aus unserer Sicht eine Chance verpasst zu sagen: „Die Kasse zahlt nur, wenn die Versicherten die Anwendung auch wirklich nutzen.“ Das wäre nicht nur für den Therapieerfolg ein Gewinn, sondern würde auch einen nachhaltigen Ressourceneinsatz im Gesundheitswesen fördern. Bei dem Leitfaden für die Digitalen Präventionsangebote haben die Krankenkassen das bereits anders umgesetzt, das wäre für die DiGA jetzt auch eine gute Gelegenheit.

Das war jetzt der erste Punkt. An welcher Stelle haben Sie noch Anmerkungen?

Wir haben ein wenig die Befürchtung, dass mit den digitalen Versorgungsangeboten ein weiterer Sektor eröffnet wurde, der keine ganzheitliche Betrachtungsweise über die Patient-Journey vorsieht und eine sinnvolle Einbindung der digitalen Anwendung in bestehende analoge und digitale Prozesse außer Acht gelassen wird. Die DiGA dürfen kein losgelöster Baustein sein – es müssen Mechanismen geschaffen werden, die Silodenken durch einen konsequenten Kundenfokus und End-to-End-Prozessbetrachtung aufbrechen. 

Wir halten es für sehr wichtig, im Sinne unserer Versicherten eine integrierte Versorgung zu fördern und zu realisieren: Die verschiedenen Akteure müssen im Rahmen einer Behandlung zusammenarbeiten. Sonst erhalten wir eine vollkommen zerfaserte Versorgungslage mit einem neuen digitalen Versorgungssektor – und das auch noch ohne eine Kontrolle darüber, ob die Anwendung einen Nutzen bringt oder nicht. 

Diese Entwicklung wird begünstigt dadurch, dass Ärzt*innen und Kassen beide Ansprechpartner in Sachen DiGA sind und für die Patient*innen und in der nachfolgenden Behandlung keine Transparenz herrscht – im Zweifel weiß auch die Ärztin*der Arzt nicht, dass sein*e Patient*in eine DiGA nutzt.

Dann wäre es doch am besten, Transparenz herzustellen, oder? Gibt es denn Lösungsvorschläge, wie das funktionieren kann?

Ja, das wäre das Beste – natürlich nur im Einverständnis mit den betroffenen Versicherten. Wir sehen zwei Handlungsfelder. So liegen uns die Diagnose- und Abrechnungsdaten nicht tagesaktuell vor. Es kann vorkommen, dass wir aufgrund des Zeitverzugs von rund neun Monaten für die Datenübermittlung die*den Versicherte*n wieder wegschicken müssen, wenn sie*er um die Genehmigung einer DiGA bittet und wir in den Daten keine Hinweise auf die Erkrankung finden können. Sie*Er muss uns dann eine Diagnosebestätigung vom Arzt oder direkt eine Verordnung vom Arzt vorlegen. Das ist alles andere als kundenorientiert. Dabei wäre eine zeitgleiche Übertragung der Daten von den Ärzt*innen an die Kassen durchaus möglich, die technischen Voraussetzungen sind gegeben – und damit auch die Genehmigung einer DiGA ohne Schleifen und Umwege zwischen Kasse, Ärztin*Arzt und Patient*in. Das ist wichtig.

Unsere andere Forderung betrifft die elektronische Patientenakte (ePA). Sie wird zukünftig ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt in der Versorgung unserer Versicherten sein. Wir sind zwar Anbieter, dürfen aber – selbst wenn die Versicherten das wollen würden – nicht in die Akte Einsicht nehmen. Das erschwert natürlich eine individuelle Begleitung und Unterstützung der Versicherten ungemein. Das muss anders geregelt werden.

Am Schluss entscheidet die Kundin oder der Kunde, ob eine DiGA für sie oder ihn persönlich einen Mehrwert bietet. Je nach persönlicher Situation kann mal die analoge Versorgung sinnvoller sein und mal die digitale. Am häufigsten werden es aber wohl Versorgungskonzepte sein, wo sich analoge und digitale Komponenten sinnvoll ergänzen. Die Mehrwerte der Digitalisierung im Gesundheitswesen liegen nicht in der Produktivität, sondern sie entstehen für die Versicherten und liegen gegebenenfalls in der Erweiterung der Wertschöpfungskette. Das sollten wir alle im Blick behalten bei der weiteren Entwicklung und Förderung von DiGA.

Die hier zur Verfügung gestellten Inhalte dürfen, unter Angabe der Quelle SBK Siemens-Betriebskrankenkasse, veröffentlicht werden.

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