Beschäftigte dürfen in der Freizeit unerreichbar sein
Firmen können von ihren Beschäftigten nicht verlangen, dass diese außerhalb ihrer Arbeitszeit dienstliche Anweisungen über SMS oder E-Mails lesen.
Das geht aus einem Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Schleswig-Holstein hervor.
Der Sachverhalt:
Geklagt hatte ein bei einem Rettungsdienst beschäftigter Notfallsanitäter. Ausgangspunkt war eine Dienstplanänderung, die dem Mitarbeiter in der Freizeit als SMS gesendet wurde. Der Mitarbeiter nahm davon keine Kenntnis und kam nicht zum geplanten nächsten Dienstbeginn. Daraufhin setzte der Arbeitgeber einen anderen Mitarbeiter für den Dienst ein und erteilte dem späteren Kläger eine Ermahnung. Er bewertete den Tag als unentschuldigtes Fehlen und zog dem Mitarbeiter elf Stunden vom Arbeitszeitkonto ab.
Nach einem weiteren, ähnlichen Vorfall mahnte der Arbeitgeber den Beschäftigten zu einem späteren Zeitpunkt ab.
Der Arbeitnehmer klagte gegen den Abzug von Stunden und verlangte die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.
Das Urteil:
Das Gericht entschied, ein Mitarbeiter sei nicht dazu verpflichtet, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein Dienstplan geändert worden ist. Er sei auch nicht dazu verpflichtet, außerhalb der Arbeitszeiten eine Mitteilung des Arbeitgebers – etwa per Telefon – entgegenzunehmen oder eine SMS zu lesen. Nimmt er eine Information über eine Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis, geht ihm diese nach Ansicht des LAG erst bei Dienstbeginn zu.
Das Gericht stellte klar, dass einem Arbeitnehmer in seiner Freizeit ein Recht auf Unerreichbarkeit zustehe. Freizeit zeichne sich gerade dadurch aus, dass Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber in diesem Zeitraum nicht zur Verfügung stehen müssen und selbstbestimmt entscheiden können, wie, wo und womit sie diese Zeit verbringen. Der zeitlich minimale Aufwand, der mit dem Aufrufen und Lesen einer SMS verbunden ist, stehe der Einschätzung, dass das Lesen einer dienstlichen SMS zur Arbeitszeit zu rechnen ist, nicht entgegen. Arbeit werde nicht deswegen zur Freizeit, weil sie nur in zeitlich ganz geringfügigem Umfang anfällt, so das LAG.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen.
Quelle: Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 27. September 2022 - 1 Sa 39 öD/22